roth-menschlichermakel

Eine zynische Abhandlung über,
„Jeder weiß“ … gar nichts!

Titel Der menschliche Makel
(The human stain)
Autor Philip Roth, USA 2000
aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren
Verlag Hanser
Ausgabe Gebunden, 399 Seiten
Genre Drama
Inhalt

Es ist der Sommer 1998, der Sommer, in dem der amerikanische Präsident wegen einer sexuellen Affäre zum Gegenstand einer Hexenjagd wird. Ähnlich verfolgt von Heuchlern und Pharisäern fühlt sich Coleman Silk, Professor für Altphilologie an einer noblen Ostküsten-Universität.

Erst bezichtigt man ihn des Rassismus’ – zwei Wörter genügen, um seine lange, brillante Karriere zuschanden zu machen. Dann setzt es sich eine junge Kollegin in den Kopf, ihn als sexistischen alten Lüstling zu entlarven. Und schließlich wird er bedroht vom Exmann seiner Geliebten – Faunia, halb so alt wie er, arbeitet als Melkerin und Putzfrau und kann zudem weder schreiben noch lesen. Colemans Frau, so glaubt Coleman, haben seine Kollegen auf dem Gewissen, diese rechtschaffenden Saubermänner. Seine Kinder wenden sich empört von ihm ab, weil sie sein Verhältnis zu Faunia nicht billigen können.

Coleman ist Opfer der grassierenden political correctness geworden und hat sich in die empörte Einsamkeit zurückgezogen – mit Faunia, der Analphabetin verbindet ihn ein betont ausschließlich sexuelles Verhältnis („Mehr macht alles kaputt“, sagt Faunia). Und dann ist da noch der Schriftsteller Zuckerman, zu dem Coleman ein freundschaftliches Verhältnis aufbaut, weil er in seinem Zorn will, dass Zuckerman Colemans Geschichte niederschreibt, dass Zuckerman schreibt, dass die ehrwürdigen Kollegen des Athena College am Tode seiner Frau Schuld haben.

Dabei verheimlicht Coleman seinem vermeindlichen Biographen – der des Professors Ansinnen liebenswürdig zurückgewiesen hat – die ganze Geschichte: Coleman, der – weil er zwei beständig schwänzende Schüler als „dunkle Gestalten, die das Seminarlicht scheuen“ bezeichnet hat („Spooks“ im Original), ohne zu wissen, dass es sich dabei um afroamerikanische Studenten (um Farbige) handelt – in Schimpf und Schande davon gejagt wurde, ist keineswegs der Weiße jüdischen Glaubens, als der er sich seit 50 Jahren ausgibt. Coleman Silk ist, was in dessen Kindheit „Neger“ genannt wurde. Ein Farbiger mit so heller Haut, dass er als Weißer durchgeht, seit er sich als solcher bei der US Navy eingeschrieben hat.

Und Coleman ist nicht der einzige, der ein Geheimnis bewahrt …

Was zu sagen wäre
Der menschliche Makel

Triefender Sarkasmus. Zynismus im Gewand der hohen Literatur, gewebt aus langen Sätzen, wenig Dialog und wechselnden Perspektiven – mal „ich“, mal „er“ – die sich im Laufe des Romans als eine Perspektive herausstellen, nämlich die des Schriftstellers Zuckerman, der das Buch schreibt, das ich gerade lese und das doch eigentlich von Philip Roth stammt.

Dem SPIEGEL entnahm ich, dass jener Zuckerman ein beständiges Alter Ego Roths ist, der sich wie ein roter Faden durch sein Werk zieht. Diese Verbindung bleibt mir verborgen, weil „The Human Stain“ mein erster Roman von Philip Roth ist.

Vordergründig dreht sich der Roman um die „Spooks“ und das, was daraus folgt im Zusammenhang auch mit jener Absurdität, wenn Colemans Geheimnis nach etwa 150 Seiten gelüftet wird – die großen Feuilletons hatten es alle verraten, weil – vielleicht – in der hohen Literatur die Sprache vor Spannung zu kommen hat.

Es war etwas zäh, immer bei der Stange zu bleiben, weil manche Volte zu viel ist, die nichts Neues aussagt und beständiger innerer Monolog auf Dauer einlullt und man so leicht übersieht, dass es auf der zweiten Ebene nicht um die „Spooks“ geht, sondern um die Worte „Jeder weiß“. Jeder glaubt gerne, alles über den anderen zu wissen und sich also in Rechtschaffenheit empören zu dürfen. Jetzt wird gerade (März 2003) Oliver Kahns außerehliche Beziehung durchs Dorf getrieben und Alle und Jeder dürfen sich empören über den „schlechten Charakter“ des Nationaltorhüters. In „Der menschliche Makel“ empören sich die Menschen auch und zerreißen sich gerne das süffisante Maul über einen, „der es nicht anders verdient hat“.

Irgendwann glaubt auch der Leser zu wissen, wer die Schlechten und wer die Guten im Buch sind. Die Qualität des Romans entfaltet sich, wenn auch mir als Leser irgendwann klar wird, dass ich eben gar nichts weiß, weil jede Figur ihre eigene Geschichte und Herkunft oder Geheimnis hat.

„Jeder weiß!“ … Jeder? weiß??

Roth hat eine Geschichte geschrieben über menschliches Fehlverhalten, das keinen verschont. Jeder macht Fehler. Jeder leidet unter Fehlern anderer. Und der größte Fehler ist, dass wir uns das nicht eingestehen können und uns statt dessen weiter empören über die Anderen.

„Manche Volte zu viel“? Aber am Ende ein gutes Buch.