IMDB
Plakamotiv: Ekel (1965)
Der Horror, als Mädchen
unter Männern zu leben
Titel Ekel
(Repulsion)
Drehbuch Roman Polanski + Gérard Brach + David Stone
Regie Roman Polanski, UK 1965
Darsteller Catherine Deneuve, Ian Hendry, John Fraser, Yvonne Furneaux, Patrick Wymark, Renee Houston, Valerie Taylor, James Villiers, Helen Fraser, Hugh Futcher, Monica Merlin, Imogen Graham, Mike Pratt u.a.
Genre Drama, Horror
Filmlänge 105 Minuten
Deutschlandstart
7. Juli 1965
Inhalt

Die junge Carol, von Beruf Maniküre, lebt zusammen mit ihrer älteren Schwester in einer Wohnung in London. Kontakt zu Männern hat sie wenig, lediglich Colin zeigt ausdauerndes Interesse und lässt sich auch von ihrer wortkargen Ablehnung nicht abweisen.

Plakamotiv: Ekel (1965)Als ihre Schwester Hélène mit ihrem Freund Michael in Urlaub fährt, kommt sie mit sich und ihrer Umwelt nicht mehr klar. Sie geht nicht mehr zur Arbeit, verkriecht sich in der Wohnung und leidet unter paranoiden Wahnvorstellungen, die in imaginären Vergewaltgungen durch Männer gipfeln.

Als Colin sie schließlich zur Aussprache stellen will, brechen ihr Psychosen vollends durch …

Was zu sagen wäre

Roman Polanski führt uns mitten hinein in einen Albtraum, mitten hinein in das Leben und Fühlen einer Frau. Sein Medium ist die französische Schauspielerin Catherine Deneuve, die eine in sich gekehrte, der Welt abgewandte junge Frau spielt, die in ihrer Haltung wirkt wie ein fünfjähriges Mädchen im Körper einer 22-Jährigen.

Fünf Jahre – so alt etwa mag sie sein auf dem Familienfoto, das auf dem Sims steht. Und als Polanskis Kamera am Ende ganz nah drauf fährt auf dieses Foto, bis ein auge der Kleinen die ganze Leinwand füllt, da meint man, den Albtraum schon aus diesen Augen blicken zu sehen. Diese Carol bleibt dem Zuschauer den Film über fremd, gleichzeitig wirkt sie von Minute zu Minute vertrauter. Wenn sie durch die Straßen Londons geht mit ihren ordentlich frisierten, blonden langen Haaren, den großen Augen und der schlanken Figur, bleibt die sehr bewegliche Kamera immer nah bei ihr, während sie wiederholt von Männern – Straßenbauarbeiter, Zeitungsverkäufer, Männer hinter Fenstern – mit eindeutigen Gesten angesprochen wird; da bekommen wir ein gutes Gespür für die Qual, die es bedeuten kann, sich als Frau in der Öffentlichkeit zu bewegen.

Dass sie sich ob solcher Erfahrungen zurückzieht, abweisend wirkt, mit Männern, die sie nach zwei, drei Sätzen schon auf den Mund küssen wollen, wirkt verständlich; und als Mann raufen wir uns im Kinosessel imaginär die Haare über die Tölpelhaftigkeit des eigenen Geschlechts, während der Mann auf dem Regiestuhl hinter der Kamera, Roman Polanski, genau diesen Voyerismuseffekt einplant. Wenn Michael Carols Schwester besteigt hört Carol rythmisches, emotionsarmes Stöhnen aus dem Nachbarzimmer, die Männer auf der Leinwand sind plump, die im Zuschauersaal aber schauen auch hin: Catherine Deneuve ist irritierend schön. Sind wie also auch plump?

Plakamotiv (UK): Repulsion – Ekel (1965)Und dann ist die Schwester im Urlaub und Carol allein zu Haus. Auch jetzt aber zeigt sie sich unfähig, den Alltag zu meistern. Es ist rätselhaft, was das Mädchen, das als Maniküre arbeitet, gelernt hat – Haushalt? Lebensführung? Ist sie irgendwie auf ein selbständiges Leben, und sei es an der Seite eines Mannes (wir schreiben das Jahr 1965), vorbereitet worden. Nun wird alles nur immer schlimmer und die subjektiv erzählte Geschichte entfaltet jetzt ihre ganze Wucht. Was ist real, was Phantasie? Der Zuschauer erlebt die ganze Geschichte aus Carols Wahrnehmung; wir sind buchstäblich an ihrer Seite.

Nun verfault ein ausgenommener, schon für den Ofen vorbereiteter Hase über Tage in der Wohnung, Kartoffeln schimmeln, Geschirr türmt sich im Spülstein – soweit der unbewältigte Alltag, nachdem sie ihren Arbeitsplatz hingeschmissen hat. Aber dann reißen Wände auf, Männer überfallen sie, aus der Tapete schälen sich Hände, die nach ihr greifen. Und als plötzlich Colin in die Wohnung einbricht mit der lauen Begründung, er habe sie halt sehen wollen und sie habe ja nie geantwortet, wissen wir schon nicht mehr, ob wir wegen der unverschämten Dreistigkeit dieses jungen Mannes empört sein sollen, oder ob der womöglich auch eine Ausgeburt ihres Albtraums ist, dessen wir teilhaftig werden.

Als ihre Schwester aus dem Urlaub heimkommt, ist tatsächlich über Minuten nicht klar, was sie vorfinden wird. Ist die Wohnung aufgeräumt und Carol schläft in ihrem Bett, oder liegen wirklich Leichen in der Wohnung und der Albtraum war kein Albtraum, sondern Schlimmeres. Roman Polanski führt pointiert Regie, wechselt kurze Schnitte mit sehr langen einstellungen, hält die Kamera immer in Bewegung in einer Szenerie, in wir hören, wie Nonnen vor dem Fenster Völkerball spielen, Schmeißfliegen um den faulenden Hasen summen, ein Telefon klingelt, in einer Nachbarwohnung jemand ein Klavier maltraitiert – nur einen Score hören wir nicht, nur in zugespitzten Szenen. Diese Art der akustischen Montage von Athmo und Dialog in Zusammenwirken mit der nahezu schwebenden Handkamera gibt dem Film einen Hyperrealismus, der das Mysteriöse des Dramas unterstreicht.

Wenn Polanskis Kamera auf das Auge des kleinen Mädchen auf dem Familienfoto zufährt erklärt das nichts, aber das Kino verlassen wir mit Gänsehaut und Mitleid für ein von Kindheit an zerstörtes Mädchen.

Ein verstörender Film.

Wertung: 7 von 8 D-Mark
IMDB