Buchcover: Oscar Roehler – Herkunft
Bourgeoise Kindheit in der BRD.
Großartig. Farbenfroh. sinnlich.
Titel Herkunft
Autor Oskar Roehler, Deutschland 2011
Verlag ullstein
Ausgabe Gebunden, 592 Seiten
Genre Familienroman
Inhalt

Eine Familie, drei Generationen, die Geschichte der Bundesrepublik: Robert Freytags Großvater Erich, der Kriegsheimkehrer, der seine Frau an eine andere Frau verliert.

Roberts Eltern, die Schriftsteller Nora und Rolf, die sich in einer Amour Fou zerfleischen und über ihrem Streben nach Selbstverwirklichung und freier Liebe zugrunde gehen.

Robert selbst, der zwischen der Geborgenheit im Haus seiner Großeltern und dem enthemmten Leben der 68er aufwächst, immer auf der Suche nach dem eigenen Glück, das so schwer zu finden ist …

aus dem Klappentext

Was zu sagen wäre
Herkunft

Roehlers Biografie hat mich gereizt: Ein erfolgreicher, von der Kritik gefeierter Regisseur setzt sich mit seiner Kindheit in einem intellektuell überbauten Elternhaus auseinander, unter dem er – den Zeitungskritiken zufolge – sehr gelitten hat. Das Buch hat mich nicht enttäuscht. Es ist etwas lästig, wenn man weiß, dass vieles biografisch ist – Roehler selbst sagte dazu, etwa 28 Prozent wären sein Leben, der Rest Fiktion. Dennoch lenkt es ab, wenn von dem „weltbühmten Autor G”, dem „gefeierten Autor J” die Rede ist und ich nicht weiß, ob man das vielleicht wissen müsste. Die Süddeutsche Zeitung klärte zur Bucherscheinung auf: G ist Grass, J ist Uwe Johnson, B ist Böll.

Eine Kindheit zwischen Künstlern ist offenbar kein Zuckerschlecken

Gut: Das bringt mich dann nicht weiter, spielt also eigentlich keine Rolle für den durchschnittlichen Leser. Die Literatenszene mag ihr eigenes Süppchen mit den Informationen und der Erkenntnis kochen, dass eine Kindheit zwischen gefeierten, abgestürzten und eifersüchtigen Autoren der 1968er Riege kein Zuckerschlecken war. Für mich viel interessanter: Roehler, Jahrgang 1959, beschreibt eine Kindheit aus meiner Zeit mit vielen Gegebenheiten, an die auch ich mich gut erinnere. Roehler schreibt sehr anschaulich, sehr einfach. Kein Geschwurbel. Klare Sätze. Sein Text braucht keine Verzierungen in der Sprache. Roehler traut der Wucht seiner Geschichte. Was für ein Epos!

Seine Geschichte beginnt 1949 mit der Rückkehr des Großvaters aus dem Krieg in eine neu gefügte Familie, in der die Mutter mit Großvater Erichs Schwester zusammenlebt. Die Hauptfigur, Robert, taucht erst nach 200 Seiten auf. Robert, den die Mutter lieber abgetrieben hätte und mit dem sie nichts zu tun haben will, der dem abgestürzten Vater, der seine Position als Lektor großer Autoren für kleine Sex-Eskapaden mit dem weiblichen Nachwuchs nutzt, herzlich egal ist, der abwechselnd bei den verschiedenen Großeltern aufwächst und ein antriebsloser Junge bleibt, der erst am Sehnsuchtsort West-Berlin auflebt.

Ein wunderbarer Kniff zum Schluss

Am Ende bleibt auch er Randfigur. Roehler findet einen wunderbaren Kniff, um seiner Hauptfigur Robert keine Analyse aufdrücken zu müssen, keine Erklärung, was aus ihm wohl wurde. Sein Roman endet mit einem Epilog, der Roberts Jugendliebe gewidmet ist und mit dem Satz endet: „Doch dieses vor Glück strahlende Lächeln des jungen Mädchens, das voller Zuversicht und Hoffnung auf ihre große Liebe blickt, würde nie wieder auf das Gesicht ihres geliebten Kindes zurückkehren.” Dieser Schlusssatz fasst besser, als jeder analytische Ansatz zum Leben mit und in der Gruppe 47 (die im Roman eine Rolle spielt) zusammen, was Roehlers Text in der Hauptsache ist.

„Herkunft” ist ein Roman über die Kindheit. Wunderbar sind die Passagen, in denen Robert seinen wichtigsten Sommer beschreibt. Da dreht Roehler die ein und andere Pirouette zuviel, in dem er zu oft den Abschied aus diesem Paradies am Horizont aufziehen lässt, aber insgesamt entwirft er einen Sehnsuchtsort, in dem ich als Leser mich zuhause und wohl fühle.

Roehler erzählt über eine bourgoise Kindheit in der 1960er und 1970er Jahren, in der Bundesrepublik, die das Wirtschaftswunder hinter sich gelassen hat.

Großartig. Farbenfroh. Sinnlich.