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Plakatmotiv: Wackersdorf (2018)

Ein großer Heimatfilm mit
großartigen Schauspielern

Titel Wackersdorf
Drehbuch Oliver Haffner + Gernot Krää
Regie Oliver Haffner, Deutschland 2018
Darsteller
Johannes Zeiler, Anna Maria Sturm, August Zirner, Fabian Hinrichs, Sigi Zimmerschied, Marlene Morreis, Thomas Limpinsel, Florian Brückner, Peter Jordan, Andreas Nickl, Monika Manz, Frederic Linkemann, Johannes Herrschmann, Katharina Hauter, Dietmar Dengler u.a.
Genre Drama, Historie
Filmlänge 123 Minuten
Deutschlandstart
20. September 2018
Inhalt

In den 1980er-Jahren plant die bayerische Staatsregierung die Errichtung einer nuklearen Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) in der Gemeinde Wackersdorf in der Oberpfalz. Dem Landkreis Schwandorf, mit steigenden Arbeitslosenzahlen, soll dadurch der wirtschaftliche Aufschwung beschert werden.

Landrat Hans Schuierer steht politisch unter Druck, er soll Perspektiven für die Bevölkerung schaffen. Daher ist er zunächst von der Idee vom Bau der WAA Wackersdorf begeistert. Vereinzelte Proteste gegen das Vorhaben ignoriert er zunächst.

Erst als der Freistaat Bayern ohne rechtliche Grundlage mit Gewalt gegen Proteste einer Bürgerinitiative vorgeht, die sich für den Schutz der Natur in ihrer Heimat einsetzt, beginnt Schuierer langsam zu zweifeln und fängt an, Nachforschungen anzustellen, ob die Anlage wirklich so harmlos ist wie von der Strauß-Regierung behauptet wird …

Was zu sagen wäre

Es ist Zufall, dass dieser Film ins Kino kommt, während Menschen in der Eifel gegen die Rodung des Hambacher Forstes demonstrieren, Bäume besetzen und von Polizeikräften abgeführt werden – damit unter dem gerodeten Forst mehr Braunkohle geschürft werden kann, ein Energieträger, der umweltschädlich ist und dessen Endlichkeit in Deutschland, dessen Großstädte Fahrverbote gegen Dieselfahrzeuge verhängen, beschlossene Sache ist. Man könnte zu der Ansicht gelangen, dass die Rodung des Hambacher Forstes eher unklug ist, der Gesundheit abträglich und wirtschaftlich unsinnig.

So ähnlich empfanden es Anfang der 1980er Jahre Menschen in der Oberpfalz, als die bayerische Staatsregierung dort mit dem Versprechen, 3.000 hochwertige – „alle mit weißen Kittel“ – Arbeitsplätze zu schaffen, eine nukleare Wiederaufbereitungsanlage zu bauen gedenkt. Der Vergleich der Ereignisse im Film mit denen aktuell im Hambacher Forst ist streng genommen nicht statthaft, weil Oliver Haffner seinen Film „Wackersdorf“ nicht als Reaktion auf die Waldbesetzer gedreht hat, er auch, ebenso streng genommen, keinen Atromkraft-Nein-Danke-Film gedreht hat. Haffner hat einen Heimatfilm gedreht: Es gibt die schönen Landschaften, hier meist nebelverhangene Wälder mit malerischen Sonnenauf- und untergängen, es gibt die aufrechten Bürger, lauter Menschen, die ihr Miteinander organisieren und feiern. Es gibt den bösen Eindringling, mal ein schwarz gewandeter Revolverheld, mal der schwarz gewandete Viehbaron. Und es gibt den Sheriff, der für Ordnung sorgt. Deutsche Heimatfilme folgen in vielen Details dem Muster amerikanischer Western, was kein Wunder ist, denn die sind ja auch nichts anderes als Heimatfilme.

Eine lange Vorrede, um sagen zu wollen: Grandioser Film! Unterhaltsam, sogar spannend (obwohl wir ja wissen, wie der Kampf endet), weil wir erinnert werden, mit welcher martialischen Wucht die demokratische Staatsgewalt vor gerade mal knapp 40 Jahren durch Menschen holzte, nüchtern, in entsättigten Farben fotografiert, manchmal irritierend im plötzlichen Einsatz des Scors, den die Band „Hochzeitskapelle“ mit Blasmusi beisteuert, nostalgisch in der genauen Beobachtung damaligen Mobiliars – da steht ein grünes Telefon im Flur des Landrats, auf dessen Wählscheibe drei weiße Felder sind, in die man drei Nummern mit dem Kuli schreiben konnte, Polizeinotruf, Rettungssanitäter, eigene Rufnummer; ich habe damals kaum ein Telefon gesehen (und es gab ja damals tatsächlich nur dieses eine Modell, immerhin in drei Farben), wo diese drei Nummern geschrieben standen. Auf dem grünen Telefon im Flur des Landrats stehen diese Nummern auch nicht; manchmal machen Details einen Film rund. Zum Beispiel: das Verzehren einer Weißwurscht.

Der Film beginnt im depressivsten Moll. Nebelverhangene Wälder, eine Region im Untergang, die Braunkohle ist weg, die Männer verlieren Kredite, Haus, Frau und Kind und ziehen weg, dem amtierenden Landrat Hans Schuirer wird bedeutet, dass er die längste Zeit Landrat gewesen ist. Und dann kommt der Herr Minister für Umwelt extra aus München, um mit dem Herrn Landrat zu sprechen und er bringt sogar Weißwürscht mit. „Metzger ham mir hier a.“ bedeutet der Landrat, aber der Mann aus München hat dann „no' a bisserl Petersilie im Sud“, was den Geschmack erst veredele. Und dann zutzelt der Minister und zerschneidet der Landrat. Wer mal mit zwei indigenen Bayern Weißwurst gegessen hat, weiß, welche Glaubenskämpfe um den richtige Verzehr der Weißwurst – und auch, welcher einzig richtigen Weißwurst – geführt werden. Haffner beschreibt mit dieser kleinen Szene die gesellschaftlichen Gräben zwischen denen in München und „den Deppen da in der Oberpfalz“ als unüberwindbar – ohne das groß in Worte fassen zu müssen. Er hat die richtigen Schauspieler dazu.

Der Kabarettist Siggi Zimmerschied spielt den Umweltminister und er spielt ihn mit einer Freude an der Zersetzung. Dieser Herr Minister ist so schmierig, glatt und von der Herrschaft Franz-Josef Strauß' überzeugt, dass es dem Kabarettisten eine besondere Freude gewesen sein muss, diesen besonders glaubwürdig zu spielen. Zimmerschieds – wenige – Auftritte in diesem Film sind eine große Freude. Johannes Zeiler, tut es ihm gleich und der hat mehr Auftritte. Er spielt die Hauptrolle des Landrates Hans Schuirer. Zeiler stattet ihn mit einer Bedächtigkeit aus, mit einem zweifelnden Geist, der „vor meinem Gewissen“ bestehen muss, mit einerm uneitlen, sehr bodenverhafteten Charakter, dass ich ihm jederzeit abnehme, dass so einer auch gegen Franz-Josef Strauß und dessen Staatsgewalt bestehen würde. Bei einem wie Zeiler bedauert man, dass das deutsche Kino so klein ist, dass solche Qualität auf (namhaften) Bühnen und in TV-Serien versteckt bleibt. Der Typ strahlt eine ruhige Wucht aus, die zuletzt Lino Ventura, der große Schweiger des französischen Kinos in den 1960er und 1970er Jahren hatte (Das Verhör – 1981; Die Schrecken der Medusa – 1978; „Die Macht und ihr Preis“ – 1976; Adieu Bulle – 1975; „Der Clan der Sizilianer“ – 1969; „Armee im Schatten“ – 1969; „Taxi nach Tobruk“ – 1961; „Der Panther wird gehetzt“ – 1960; „Fahrstuhl zum Schafott“ – 1958).

Groß macht auch Fabian Hinrichs seine eher kleine Rolle als Atomlobbyist Dr. Karlheinz Billinger. Schwer zu sagen, wie er das macht, ob es seine Hochdeutschness unter all den bajuwarischen Dickschädeln ist, ob es seine fordernde, unverschämte Freundlichkeit ist, die er seinem Dr. Billinger leiht, Hinrichs liefert einen grandiosen Schurken.

Und dennoch ist es nicht Atomkraft-Nein-Danke-The-Movie. Haffner erzählt die Geschichte einer Gemeinschaft, die in einem überschaubaren Landkreis lebt, er beobachtet, wie Hoffnungen, geplatzte Träume, Ängste, auch irrationale Ängste, Perspektiven, auch irrationale Perspektiven eine Gemeinschaft spalten, zerstören können, wie dadurch langjährige Freundschaften zerbrechen und aus ungeliebten Zweckbündnissen Respekt für den anderen erwächst. Er macht dabei etwas, was im Cinemascope-3D-Dolby-Surround-verwöhnten Kino selten geworden ist: Er baut, immer, wenn es um das politisch umkämpfte Schlachtfeld Wacksersdorf geht, grobkörnige Originalaufnahmen aus dem Fernsehen ein, die rechts und links fette schwarze Balken auf der Leinwand generieren. Mit seiner Kinokamera konzentriert sich Haffner auf sein Kammerspiel. Die großen Schlachten von damals will er nicht noch einmal schlagen – und die Originalaufnahmen sagen auch heute noch mehr, als jede Nachverfilmung sagen könnten. Einmal sehen wir, wie gigantische Maschinen-Klauen einen Baum aus der Erde reißen und in Sekundenschnelle kleinholzen. Sowas lässt einen nicht unberührt im Kinosessel.

Und wenn man später, nach dem Film, in den Nachrichten aktuelle Bilder aus dem Hambacher Forst sieht – einem Baumbesetzer wird beim polizeilichen Abtransport der Arm gebrochen, Planierraupen zerstören Holzhäuser – kommt einem Oliver Haffners Film wieder in den Kopf. Kino kann das noch … Menschen bewegen.

Wertung: 7 von 8 €uro
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