Buchcover: Neal Stephenson – Error
Ein interessanter, viel zu langer Thriller
über Viren, Islamisten und große Familie
Titel Error
(Reamde)
Autor Neal Stephenson, USA 2011
Deutsch von Juliane Gräbener-Müller und Nikolaus Stingl
Verlag Wilhelm Goldmann Verlag
Ausgabe E-Book, 1024 Seiten
Genre Thriller
Website nealstephenson.com/
Inhalt

Richard Forthrast kann so leicht nichts mehr erschüttern: Nach bewegter und zielloser Jugend hat er quasi aus dem Nichts hat er mit der Schöpfung des Computerspiels T’Rain ein millionenschweres internationales Unternehmen geschaffen. Nach dem jüngsten Thanksgiving, das die ganze (und große) Familie in Idaho versammelt, hat er seiner Nichte Zula einen Job bei T’Rain verschafft – eigentlich nicht seine Art, ab an Zula hat er einen Narren gefressen. Zulas Freund Peter, eigentlich Programmierer, geht offenbar auch noch ein paar anderen, dunkleren Geschäften nach. Eines dieser Geschäfte bringt Zula, Richard und einige mehr in tödliche Gefahr.

Durch einen fatalen Fehler hat Peter den Rechner eines Mannes mit einem Ramsom-Virus infiziert. Nun kommt der Geschädigte nicht mehr an die nun verschlüsselten Daten, die Peter ihm für eine sehr große Summe verkauft hat. Diese Daten waren für einen gefährlichen Russen gedacht, der nun, weil die Daten ausbleiben, kurzen Prozess macht. Freikaufen von diesem Virus, der den Namen „Reamde“ trägt, indem man in der Spielewelt von T’Rain eine kleine Menge Goldmünzen an einen bestimmten Ort bringt. Zula findet über die T’Rain-Technologie heraus, wo der Urheber des Virus‘ sitzt – in der chinesischen Stadt Xiamen. Die russischen Kriminellen zwingen sie und Peter, mit dorthin zu fliegen und den genauen Standort des Hackers zu ermitteln, auf dass der die Daten entschlüsselt und alle mit dem Leben davon kommen. Der Plan, sich einfach mit den paar T’Rain-Goldmünzen freizukaufen (umgerechnet nicht einmal 100 Dollar) hat sich als undurchführbar herausgestellt. Denn der Reamde-Virus hat weltweit Millionen rechner infiziert, also schicken gleichzeitig sehr viele Menschen ihre Avatare in der T’Rain-Welt mit Goldmnünzen in dasselbe Gebiet, in dem es vor Straßenräubern, Wegelagerern und wilden Kriegern nun nur so wimmelt.

Nach einigen Tagen in Xiamen haben Zula und Peter den genauen Standort der Hacker ermittelt. Aber als die beiden Russen, ein ungarischer Hacker, Peter und Zula zugreifen können, schrecken sie islamistische Terrorzelle auf, die im selben Haus einen Anschlag vorbereitet. Kurz darauf liegt das haus in Trümmern, gibt es Tote und ist der Rest der Gruppe in alle Himmelsrichtungen verstreut …

Was zu sagen wäre
ErrorNein, mit dem obigen Text verrate ich nicht zuviel. Denn da ist das Buch erst zu einem Drittel durch. Es ist ein anstrengendes Buch. Es ist ein spannendes Buch nervtötend und abwechslungsreich. Der Autor verzettelt sich in viele vwrästelungen seiner komplexen Story, die zeitweilig auf zwei Welten – der realen und der von T’Rain – spielt. Zum auftakt lernen wqir die Familie des T’Rain-Gründers Richard Rorthrast kennen – sehr ausführlich – und man fragt sich bald, warum eigentlich; für den Rest des Romans spielen nur noch seine beiden brüder und Zula eine Rolle. Dafür erfahren wir ausführlich, dass sie alle Waffenfans sind und also sich an Thanksgiving treffen und haufenweise Natur beschießen. Das erklärt zumindest hinreichend, warum sich alle so gut bewähren, als es zur letzten großen Schießerei im großen Filane kommt.

Ein möglicher Roter Faden kristallisiert sich nach etwa 200 Seiten, als die Russen das Spielfeld betreten – böse Russen, mit charmanten Anwandlungen. Aber zu einem Thriller – im herkömmlichen, alltagsgebräuchlichen Sinne – wird Stephensons Text auch hier noch nicht. Er liebt komplexe Strukturen, baut gerne verschachtelte Sätze in seine Erzählung, die es kaum erlauben, sein Buch wie einen herkömmlichen Thriller (aka Pageturner) zu lesen, den man jederzeit unterbrechen kann. Als der Computervirus ins Spiel kommt, REAMDE, der dem amerikanischen Original seinen Titel gibt, begibt sich Zula in der Online-Game-Welt auf die Suche nach dem Punkt für die Lösegeldübergabe und scheitert ein ums andere Mal, weil sie von Horden fremder Mittelalterkrieger angegriffen wird und sie sich, will sie das Lösegeld in ihrem digitalen Wams nicht verlieren, jedesmal kurz vor der Gefangennahme selbst töten („ins Limbo schicken“) muss. Das ist Mund-offen-steh-launig geschrieben, die Paralellität künstlicher und realer Welt faszinierend.

Ein paar Seiten weiter erzählt Stephenson, wie T’Rain, das Online-Game, über Nebenerwerbs-Apps und Marketingprogramme erst zu jenem Hype wurde, als der der Leser es kennenlernt – diese Geschichte oszilliert zwischen den Neuronen eines gelangweilten Sicherheitspersonals an einem kleinen Regionalflughafen, dem Mangel an Strom leitendem Kupferdraht in Mogadischu und den Erfordernissen, die eine offene Game-Welt an Programmierer stellt, die eine komplexe Spielidee programmieren sollen. Das ist launig, bringt aber die Geschichte nicht voran, zeugt höchstens von großen Detailkenntnissen ihres Autors.

In China, nachdem das Haus explodiert, die Gruppe, der wir bislang gefolgt sind, dezimiert und in drei Himmelsrichtungen zerstreut ist, dreht die Geschichte durch – unterhaltsam, nailbiting. Es tauchen weitere Figuren auf, eine MI6-Agentin mit ausführlicher Lebensgeschichte, islamistische Terroristen mit einer Bombe sowie der Virus-Absender. Das ist immer wieder spannend und immer wieder enervierend lahm, wenn Stephenson nichts auslassen kann. Verfolgt er die eine Gruppe, bewegen sich die anderen Gruppen, die er gerade nicht beobachtet, nicht einfach vom Leser unbeachtet vor. Stattdessen verlässt Stephenson irgendwann die eine Gruppe, schwenkt zur nächsten und beleuchtet ausführlich, was sie in der Zwischenzeit erlebt hat – das beinhaltet seitenlange Beschreibungen, geographische Details, reduntante Dialoge und dramaturgische Kniffe, die nicht spannend sind, sondern den Leser über Seiten irritieren. Einmal springt Stephenson wieder zu einer neuen Gruppe, die er über die nächsten zwanzig Seiten nicht mit Namen nennt, sondern nur mit ihren momentanen Funktionen beschreibt; das ist an dieser Stelle des Buches überhaupt nicht begründet, entspringt augenscheinlich einer plötzlichen Laune des Autors.

Bei all dem verliert Stephenson irgendwann seinen Titel aus den Augen. Die Ransomware „Reamde“, die das Chaos erst auslöst, verschwindet irgendwann aus der Handlung, nimmt dem Buch damit sein erzähltes Haus. Klappt man das Buch nach den 1024 Seiten zu, bleibt der Eindruck eines Konvoluts aus Menschen und Handlungen, die sich wegen eines Computervirus‘ begegnen, verzahnen, verlieren, entwirren und dann liegen lauter tote Islamisten in der Landschaft British Columbias, nicht hingestreckt durch einen Virus, sondern erschossen. Chaostheorie: Geht in China ein Computervirus online, werden im Grenzgebiet der USA zu Kanada Terroristen erschossen.

Ich habe „Error“ zwischen dem 15. Juni und dem 20. Juli 2017 gelesen.