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Plakatmotiv: Logan – The Wolverine (2017)

Schwanengesang für den
Mann mit den Klauen

Titel Logan – The Wolverine
(Logan)
Drehbuch James Mangold & Scott Frank & Michael Green
nach Charakteren der Comic-Autoren John Romita Sr., Roy Thomas, Len Wein + Herb Trimpe, Craig Kyle & Christopher Yost
Regie James Mangold, USA 2017
Darsteller
Hugh Jackman, Patrick Stewart, Dafne Keen, Boyd Holbrook, Stephen Merchant, Elizabeth Rodriguez, Richard E. Grant, Eriq La Salle, Elise Neal, Quincy Fouse, Al Coronel, Frank Gallegos, Anthony Escobar, Reynaldo Gallegos, Krzysztof Soszynski u.a.
Genre Comic-Verfilmung
Filmlänge 137 Minuten
Deutschlandstart
2. März 2017
Website foxmovies.com/logan
Inhalt

Das Jahr 2029, die Mutanten sind so gut wie ausgestorben. Die X-Men gibt es nicht mehr. Der kümmerliche Rest der Mutanten fristet ein Dasein im Verborgenen. Der gealterte Logan aka Wolverine ist einer der wenigen verbleibenden Menschen mit außergewöhnlichen Kräften. Er verdient seinen Lebensunterhalt als Driver einer Stretch-Limousine, mit der er Uber-Aufträgen hinterherfährt. Er braucht Geld, um endlich ganz aus der Welt verschwinden zu können. Denn sein zweites Leben gehört Charles Xavier.

Der alte Professor ist an Alzheimer erkrankt – so sagen sie der Einfachheit halber. Eigentlich wissen sie nur: Das mächtigste Gehirn der Welt hat eine Fehlfunktion. Diese Fehlfunktion hat letztes Jahr in Manhattan viele Verletzte und einige Tote gefordert. Seitdem kümmert sich Logan um den ehemals mächtigen Telepathen und Gründer der X-Men, besorgt Medikamente und Spritzen, die den Telepathen ruhig stellen, und verbringt seine Tage an einem verlassenen Flecken Erde nahe der Grenze zu Mexiko, wo neben Xavier nur noch der Albino Caliban mit ihnen ausharrt, ein Mutant, der das Sonnenlicht scheut und andere Mutanten aufspüren konnte; aber es gibt ja keine mehr. Was übrig ist von der humanistischen Gesellschaft im Jahr 2029: Partygirls, Glücksspieler an Daddelautomaten, Reifendiebe, die für Chromfelgen morden und skrupellose Konzernbosse, die zur Schaffung einer Superwaffe über Kinderleichen gehen. USA 2029 – kein schöner Land!

Eine Frau verfolgt Logan, bittet ihn, zerrt an ihm, fleht ihn an, er müsse ihr helfen – bzw. dem Mädchen. Er müsse sich um Laura kümmern und diese in Sicherheit bringen. Logan will davon nichts wissen. Auch Xaviers in dessen wachen Momenten ausgestoßenen Warnungen ignoriert der ehemalige Wolverine. Wem soll er denn auch schon noch helfen? Seine Mutantenkräfte lassen nach; bis sein Körper heute auch mal nur eine Schnittwunde heilt, vergehen Tage. Logan kann niemandem mehr helfen. Er träumt von einer Motoryacht für sich und den Professor. Mit der fahren sie dann raus aufs Meer, weg von diesen Menschen, und kommen nie zurück. Die Frau lässt nicht locker.

Und dann steht Laura in ihrer Einsamkeit, ein Mädchen, vielleicht zehn, elf Jahre alt. Es spricht nicht. Aber es scheint in Gefahr zu sein. Xaviers Bitten, sich um das Mädchen, Laura, zu kümmern, verhallen. Logan will nichts! damit! zu! tun! haben! Ein paar Minuten später steht ein Haufen schwer bewaffneter Männer in ihrer kleinen Festung. Logan, altersschwach, müde, kann sich ihrer kaum erwehren.

Aber Laura, das Mädchen, das Hilfe braucht, schaltet nahezu die gesamte Rotte im Alleingang aus. Leichen säumen ihre Spur.

Eigentlich heißt Laura X23 und ist eine Züchtung aus dem Genlabor. Und die mächtigen Gestalten hinter diesem Projekt wollen X23 zurück. Und nicht nur sie. Offenbar gibt es weitere wie sie. Logan muss sich mit dunklen Mächten und einem Mann aus seiner Vergangenheit auseinandersetzen, um Laura zu beschützen. Der letzte Kampf der X-Men hat begonnen …

Was zu sagen wäre

Abschied liegt in der Luft. Vom ersten Frame an ist klar, diese Geschichte geht nicht gut aus. Ähnlich wie im dritten Iron Man (2013) nimmt auch hier der Titelheld Abschied – allerdings tatsächlich für immer. Tony Stark hatte 2013 seine Rüstungen verschrottet, nur um 2016 im Civil War dann mit neuer Rüstung weiterzumachen. Nein, diese Art – eher klassischen – Comic-Abschieds ist es nicht.

"Logan" behandelt menschliche Aggregatzustände wie Müdigkeit und Überdruss, es geht um Depression und Sinnlosigkeit; bis das Mädchen auf der Flucht in die staubige Einsamkeit platzt. James Mangold, der Logan schon in dessen zweitem Kinoabenteuer – Der Weg des Kriegers (2013) – inszenierte, bereitet die Bühne für den Abschied Hugh Jackmans, der die Rolle nach 17 Jahren an den Nagel hängt. Und der Regisseur, der sich für die Menschen in seinen Filmen immer mehr interessiert hat, als für die Action, der sie ausgesetzt sind (Knight and Day – 2010; Todeszug nach Yuma – 2007; Identität – Identity – 2003; Kate & Leopold – 2001; Durchgeknallt – 1999; Cop Land – 1997), wählt als Tonart diesmal ein Moll, das an Christopher Nolans ersten Batman-Film erinnert.

Eine Wüstenlandschaft aus Narben

Wenn in diesem Film Trent Reznors Song „Hurt“ erklingt („verwundet“), gesungen mit der Grabesstimme von Johnny Cash, dann kommt zusammen, was seit Jahren eigentlich zusammengehört. Diesen Song schon im Trailer als Motiv einzusetzen, ist keiner dieser gewissenlosen Marketing-Gags der Hollywood-Kaufleute. James Mangold hat auch das Johnny-Cash-Biopic Walk the Line (2005) gedreht – er weiß also wohl, was er da auf die Tonspur legt. In einer Szene zeigt er den Oberkörper des alternden Wolverine – eine Wüstenlandschaft der Narben, die von einem unnatürlich langen Leben als Kampfmaschine erzählen. Seine Mutation verleiht ihm unbezähmbare Selbstheilungskräfte. Das heißt, dass er über die vielen Jahrhunderte seines Lebens malträtiert worden ist wie wenige andere Körper - durchlöchert, zerstückelt, zerschossen, verstümmelt, aufgeschlitzt. Die damit verbundenen Qualen musste er ertragen, denn unempfindlich gegen Schmerzen ist er nicht. Die drei Adamantiumklingen, die er aus den Knöcheln jeder Hand ausfahren kann, haben keine Austrittsöffnungen – sie zerschneiden jedes Mal auch sein eigenes Fleisch.

So wurde aus Wolverine, dem Schmerzensmann unter den Superhelden, auch jener einzigartige Sauertopf des Marvel-Universums. Wer hält sowas auch schon aus: Dauernd die Welt unter unsäglichen Schmerzen retten und von dieser Welt zum Dank gejagt, verachtet, ausgestoßen zu werden? Als Logan in dem Film X-Men zum ersten Mal im Kino auftauchte, lernten wir einen Cagefighter kennen, der sich von Barbituraten und Whisky ernährte – schon damals wollte er nichts mehr mit der Welt zu tun haben. Aber damals, im Juli 2000 (US-Start des Films) war die Welt noch viel zu in Ordnung – irgendwo gab es (natürlich) einen Krieg, aber die Twintowers standen noch, Bill Clinton regierte im Oval Office, das Internet war ein fernes Versprechen. Für jene – heute ferne – Welt konnte man den grimmen Krallenmann noch gewinnen. Er verliebte sich sogar – prompt in eine Mutantin, die die Welt mit einem Fingerschnippen vernichten könnte.

Die Gesellschaft ist nicht mehr lebenswert

29 Jahre später sieht das anders aus. Das ist natürlich zunächst einmal Ansichtssache – fragte man die Partygirls, die Logan in seiner Limousine zu irgendeiner Party chauffiert, fänden die das Leben 2029 wahrscheinlich „Super!!!“ Die von Enteignung bedrohte Farmer-Familie, bei der Logan, Xavier und das Mädchen eine Nacht Unterschlupf finden – und dem Zuschauer damit ein paar Minuten dringend benötigter Entspannung zwischen Depression, Action und Tod gönnen – würden wohl den Zusammenhalt ihrer Familie preisen, umgeben von den großen Landnehmern der United Corporation of America, denen sie eher früher als später zum Opfer fallen werden. Aus Logans Blickwinkel aber – und um diesen geht es schließlich – ist da nichts, was das Leben in dieser Gesellschaft lohnt.

In einer Szene zertrümmert er zornbebend sein Auto, das nicht mehr anspringt. Da sind keine Reserven mehr. Kein Firnis, mit dem er seinen Zorn dämpfen könnte. Dieser Logan 2029 (aus dem Kinojahr 2017) ist einer, dem die Wut im Magen kocht, ein Wutbürger, der in seiner Hilflosigkeit gegen das Establishment, in seinem nicht endenen Schmerz, auf einen Pickup-Truck einprügelt. Die Produktion eines solchen Films dauert viel zu lange, um eine gefällige Donald-Trump-Allegorie hier schon hinein zu bugsieren (Trump wurde am 9.11.2016 gewählt; zu diesem Zeitpunkt steckte „Logan – The Wolverine“ in der späten Postproduction). Aber auch Donald Trump ist bisher nicht Auslöser von irgendwas. Noch ist er hauptsächlich Produkt des Wutbürgers, Konsequenz einer sich über die vergangenen Jahre entwickelten Stimmung in der Gesellschaft. Diese Alles-Mist-Stimmung greift der Film auf und baut sie kongenial in seine Moritat vom Einzelgänger, der anders will, aber nicht anders kann, ein.

Der Heiland mit den Klauen

Dass Logan sich so bedingungslos um den schwer kranken Xavier kümmert, ist schon kaum zu erklären – womöglich sieht er in dem siechen 90-Jährigen den letzten seiner Art, einen Ausgestoßenen wie ihn; und angeblich ist der Mensch ja nicht gern ganz allein. Kinohelden brauchen eben einen schwachen Punkt. Sicher nicht zufällig läuft auf einem Fernseher im Hotel der Westernklassiker Mein großer Freund Shane, der die Moritat erzählt von einem ehemaligen Killer, der sesshaft werden wollte in einem friedlichen Tal, in dem sich dann doch der Terror ausbreitet, dem er dann ein sehr nachhaltiges Ende bereitet. Anschließend verlässt der Revolverheld jenes Tal und nimmt den Fluch der Gewalt mit sich – opfert sich für die Sünden der Welt. In diesem Sinne inszeniert James Mangold seinen Logan als den Schmerzensmann des 21. Jahrhunderts. Denn Schmerzen muss er erleiden, bis endlich der Vorhang fällt.

Dieser Film ist im Superhelden-Kino eine rare Ausnahme – es fällt mir schon schwer, ihn überhaupt in den Reigen der Superheldenfilme einzureihen. Die guten unter jenen Comics aber, die Superheldengeschichten erzählen, haben schon immer sehr menschliche, zweifelnde, hassende Figuren portraitiert, Helden, die eigentlich keinen Grund finden, fremden Menschen zu helfen, nur weil sie selbst aus irgendeinem Grund stärker, besser gewappnet oder gar mutiert sind. Zum Heldenimage taugen die wenigsten: Bei den Avengers hat Hank Pym (Ant-Man/Goliath) seine Frau geschlagen, hat sich Tony Stark (Iron Man) volllaufen lassen; Spider-Man hat mehr als einmal sein Kostüm in den Müll geschmissen, um endlich ein bürgerliches Leben zu leben. Und Wolverine hat sich schon in den Comics selten um gesellschaftliche Erwartungen geschert.

And the Franchise moves on …

Dieser Film ist also ein (depressiv) funkelnder Solitär, was auch der Verzicht auf die mittlerweile beim Marvel-Hero-Movie üblich gewordene Post-Credit-Scene deutlich macht (egal, ob Disney, Fox oder Sony). Dieser Film ist ein Abschied. Für immer!

Für immer?

Da sei das Franchise-Kino vor!

Wertung: 7 von 8 €uro
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