Das Leben der Cowboypuppe Woody hat bessere Tage erlebt. Seit ein paar Jahren lebt er jetzt mit seinen Freunden bei Bonnie, dem kleinen Mädchen, das Andy damals mit seiner Spielzeugkiste überrascht hat. Bonnie steht mehr auf Cowgirls. Und auf Einhörner. Woody wird immer öfter im Schrank vergessen.
Dennoch bleibt er pflichtbewusst seiner Aufgabe treu: das Kind glücklich machen. Und als der erste Vorschultag kommt, kann er zeigen, was er drauf hat. er schmuggelt sich in Bonnies Schulrucksack, um ihr nahe zu sein, sollte sie sich in der fremden Umgebung nicht zurecht finden. In der Klasse bleibt sie allein an einen Tisch. Klar dauert es da nicht lange, bis ein Bully ihr alle Malstifte wegnimmt, mit denen sie gerade einen Becher bunt bemalen wollte. Woody hilft Bonnie – unbemerkt – aus der Patsche, klaubt ein paar Sachen aus dem Mülleimer – unter anderem eine Plastikgabel – und wirft sie ihr auf den Tisch. Prompt beginnt Bonnie zu basteln und hat bald Forky vor sich stehen, für den sie von allen bestaunt wird.
Forky ist ein Produkt aus dem Müll. Und in den Müll will es unbedingt zurück. Aber Forky ist auch Bonnies neues Lieblingsspielzeug und also hat Woody in den nächsten Tagen alle Hände voll zu tun, Forky immer und immer wieder aus dem Papierkorb zu ziehen und zu Bonnie ins Bett zu bugsieren.
Ein Wochenendausflug ändert alles. Forky kann aus dem Campingwagen fliehen. Woody springt hinterher und auf einem langen nächtlichen Marsch zurück kann Woody ein wenig Vertrauen aufbauen. Alles wäre also gut, wenn sie nicht an dem Antiquitätenladen vorbei gekommen wären, in dessen Fenster eine Lampe mit Schäfchenschirm steht.
Vor neun Jahren hatte Woody seine geliebte Porzellinchen verloren, weil die an ein anderes Kind verschenkt worden war. Die Schäfchenlampe im Fenster gehörte zu ihrem Set. Bevor aber Woody und Forky Porzellinchen ausfindig machen können, hat Gaby sie festgesetzt. Gaby ist eine Mädchenpuppe mit defektem Sprachchip. Weil sie nicht richtig sprechen kann, glaubt sie, will kein Kind mit ihr spielen. Damit Kinder mit ihr spielen, folgert sie messerscharf, braucht sie Woodys Sprachchip und also hetzt sie ihre Leibwächter auf den Cowboy.
Bevor Woody Forky zurück zu Bonnie bringen kann, die demnächst aufwachen wird, und er dann Porzellinchen finden kann, hat er jetzt erst einmal handfeste Probleme zu bewältigen …
Spielzeug ist Dein Freund. „You got a friend in me“ singt Randy Newman auch im vierten Teil der Toy-Story-Filme wieder. Das ist sowas wie der verzweifelte Anruf des Kindes, des gottgleichen Besitzers der Spielzeuge, sich diesen doch bitte zu widmen, sie nicht zu ignorieren, nicht zu Müll werden zu lassen. Was ist nämlich letztlich der Unterschied zwischen Spielwaren und Müll? Die einen werden erst, nach erster großer Freude des Kindes und dessen bald eintretendem Desinteresse zu Müll, der andere war womöglich auch mal ein Spielzeug – beides landet in der Tonne.
Die vierte Episode dieses zur Serie verkommenen Klassikers des Trickfilms widmet sich der Wechselwirkung dieser Aggregatzustände im Kosmos des Kindes; zentrale Handlungsstränge sind ein Spielzeug, das die kleine Bonnie aus einer weggeworfenen Plastikgabel und ein paar anderen Sachen aus der Mülltonne bastelt und sofort zum Zentrum ihrer Aufmerksamkeit wird, und ein Ladenhüter, eine Mädchenpuppe, deren Sprachchip fehlerhaft ist. Während nun Forky, so hat Bonnie ihre Bastelei getauft, dauernd in den Mülleimer flüchtet, weil es sich selbst als Müll versteht, verstaubt die sprachbehinderte Puppe verzweifelt im Regal, weil sich ihrer kein Mädchen erbarmt.
Die Toy-Story-Filme haben sich auf einer Meta-Ebene auch mit der Warenwirtschaft, dem Kreislauf von Angebot und Nachfrage, der Kunst des Anpreisens und Verkaufens beschäftigt. Da konkurrieren die Produkte erst gegeneinander im Warenregal um die Kunden, später um die Hierarchie im Kinderzimmer und dann auch noch untereinander, wer der Platzhirsch ist, wenn das Kind abwesend ist. Im vierten Teil, der im Deutschen den mit nichts in Verbindung stehenden Titel „Alles hört auf kein Kommando“ überschrieben ist, rückt der harte ökonomische Konkurrenzkampf in den Hintergrund zugunsten einer eher elterlichen Betrachtung der Produkt-Kind-Verbindung – im vierten Teil geht es nicht mehr um frische, strahlende, fiepende Spielzeuge; es geht um die Vergänglichkeit, um die Frage, was nach dem Ende kommt, wenn das Kind aus dem haus ist, plötzlich müssen Woody und Buzz auf ihre innere Stimme hören.
Denn es gibt auch jene Spielzeuge, die eben kein Kind haben. Und, horrible dictu, auch keines wollen. Sie haben die Früchte der Freiheit jenseits des Kinder habens geschmeckt und wollen davon nicht mehr lassen. Unter ihnen ist auch die zerbrechliche Porzellinchen, die vor neun Jahren aus Woodys Leben verschwand, in Antiquariatsregalen verstaubte und irgendwann für sich konstatierte, etwas besseres als das Ausbleichen im Schaufenster werde sie überall finden. Dieses ehemals hauptsächlich liebreizend im Weg stehende Püppchen hat sich zu einer echten Überlebenskanone gemausert, Tough und sexy – eine Mischung aus dem Claudette-Colbert-Charakter aus Trommeln am Mohawk (1939) und der Angie-Dickinson-Figur aus Rio Bravo (1959), gewürzt mit einer Prise Tom Raider. Diese kinderlosen Toys haben gelernt, ihr Leben in Freiheit zu genießen, sie erkunden die Welt, statt Kindern zu gefallen. Aber dieses Leben ohne Kinder hat natürlich einen Haken und bevor sich Woody, nachdem er jetzt zwei Kindern treu gedient hat, entscheiden muss, in welche Richtung er geht, zeigt uns Josh Cooley das freie Leben nochmal genauer. Es findet statt in einem ausrangierten dunklen Flipper, und wird gelebt von den Abgestoßenen. Von Spielzeug, das alt, kaputt, zerrissen ist.
Und bevor sich Woody also für sein zukünftiges Leben entscheidet, nachdem sein aktuelles Kind ihm langsam entwächst, wird er noch ein hübsches, sommersprossiges Püppchen einem einsamen, bustäglich verlorenen Kinde zuführen – auf dass am Ende alles seine Ordnung hat. Hier die glücklichen Familien mit Heim, da die Anarchisten in sturmfreier Welt; der Müll ist integriert, die schuldlos Ausgestoßenen leben eine immerwährende Party auf dem Jahrmarkt.
Dass das alles großartig animiert ist, versteht sich bei einem Pixarfilm von selbst. Dass im Trailer keine Story angeboten wurde, sondern nur zwei neue Charaktere, die ein bisschen fluchen durften, überrascht, nachdem ich den Film gesehen habe, nicht mehr: Die Geschichte um diverse Rettungen hatten wir eigentlich schon die letzten beiden Male, Josh Cooley ist aber augenscheinlich nicht der richtige, um Spielzeuge annähernd so rasant zu gestalten, wie John Lasseter das konnte – der im Zuge des #MeToo-Themas unehrenhaft vom Hof gejagt worden ist. Das Raue, Sarkastische, das bei Pixar zu Lasseters Zeiten noch mitschwang, ist der unbedingt familienkompatiblen Disney-Doktrin zum Opfer gefallen.
Die Pixar-Filme
- Toy Story (1995)
- Das große Krabbeln (1998)
- Toy Story 2 (1999)
- Die Monster AG (2001)
- Findet Nemo (2003)
- Die Unglaublichen (2004)
- Cars (2006)
- Ratatouille (2007)
- WALL•E (2008)
- Oben (2009)
- Toy Story 3 (2010)
- Cars 2 (2011)
- Merida - Legende der Highlands (2012)
- Die Monster Uni (2013)
- Alles steht Kopf (2015)
- Arlo & Spot (2015)
- Findet Dorie (2016)
- Cars 3 – Evolution (2017)
- Coco – Lebendiger als das Leben (2017)
- Die Unglaublichen II (2018)
- Toy Story: Alles hört auf kein Kommando (2019)
- Onward: Keine halben Sachen (2020)
- Soul (2020)
- Luca (2021)
- Rot (2022)
- Lightyear (2022)
- Elemental (2023)