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Plakatmotiv: Spider-Man – Far from Home (2019)

Ein überzeugender
freundlicher Nachbar

Titel Spider-Man – Far from Home
(Spider-Man: Far from Home)
Drehbuch Chris McKenna & Erik Sommers
nach den Comics von Stan Lee & Steve Ditko
Regie Jon Watts, USA 2019
Darsteller

Tom Holland, Samuel L. Jackson, Jake Gyllenhaal, Marisa Tomei, Jon Favreau, Zendaya, Jacob Batalon, Tony Revolori, Angourie Rice, Remy Hii, Martin Starr, J.B. Smoove, Jorge Lendeborg Jr., Cobie Smulders, Numan Acar, Zach Barack, Zoka Rahman, Yasmin Mwanza, Joshua Sinclair Evans, Tyler Luke Cunningham, Sebastian Viveros, Toni Garrn, Peter Billingsley, Clare Dunne, Nicholas Gleaves, Claire Rushbrook, J.K. Simmons, Dawn Michelle King, Jeroen Van Koningsbrugge, Michael De Roos, Jan-Paul Buijs u.a.

Genre Comic-Verfilmung
Filmlänge 129 Minuten
Deutschlandstart
4. Juli 2019
Website spidermanfarfromhome.movie
Inhalt

Nick Fury und Maria Hill begeben sich in das Städtchen Ixtenco in Mexiko, dessen Einwohner von einem energiereichen Zyklon berichtet haben, der ein Gesicht getragen haben soll und hier vieles zerstört hat. Ein Mann in buntem Kostüm stößt dazu und zieht mit grünen Blitzen gegen das Monster in den Kampf.

In New York City ist der Schock über den Tod Tony Starks und Black Windows sowie das Verschwinden von Captain America immer noch groß. Vor allem Peter Parker hat auch körperlich damit zu kämpfen. Happy Hogan, Starks Assistent, Leibwächter und Chauffeur nämlich drängt Parker, Starks Rolle zu übernehmen. Das habe Stark als Spider-Mans Mentor so gewollt. Außerdem solle er endlich ans Telefon gehen, wenn Nick Fury ihn zu erreichen versuche.

Peter will das alles nicht. Noch nicht wieder. Seit Thanos‘ fatalem Fingerschnipsen, das nunmehr „Blip“ genannt wird, erst die Hälfte aller Menschen und damit auch Schüler verschwunden waren, und dem mutigen Einsatz der Avengers fünf Jahre später, sind nunmehr acht Monate vergangen. Auch wenn die Schüler der Midtown Technical High School nun wieder vereint sind, sind einige in der Zeit fünf Jahre älter geworden, andere jedoch nicht. Und Peter will endlich MJ von sich überzeugen. Die zurückliegenden Kämpfe haben dem 16-Jährigen klar gemacht, dass das Leben endlich ist. Außerdem steht eine Klassenfahrt nach Europa an. Den Ausflug will er nutzen, um sich um Dinge zu kümmern, die nichts mit seinem Dasein als Superheld zu tun haben. Zum Beispiel will er MJ seine Liebe gestehen. Den Eiffel-Turm hält er für den einen geeigneten Ort.

Kaum ist die Schulklasse in Venedig gelandet, erscheint ein riesiges Wassermonster. Der Mann im bunten Kostüm, der auch schon in Mexiko half, taucht wieder auf und bekämpft das Monstrum, während Peter mit seinem Netz versucht, die Touristen – und seine Freunde – vor einstürzenden Altbauten zu schützen. Am selben Abend, die Kreatur ist bezwungen, im Fernsehen berichten sie von einem „Uomo misterioso“, der Venedig und seine Bewohner gerettet habe, taucht Nicht Fury in Peters Hotelzimmer auf.

Fury händigt ihm Tony Starks Brille aus, sagt, die habe Stark ausdrücklich für „seinen Nachfolger“ bestimmt. Ausgestattet ist diese mit der künstlichen Intelligenz E.D.I.T.H., die Zugriff auf alle Datenbanken von Stark Industries hat und die Kontrolle über alle Sicherheitssysteme ermöglicht. Dann stellt er ihm Quentin Beck vor, den Uomo misterioso in dem bunten Kostüm. Peters Freund Ned hatte ihn, nachdem er die italienischen Fernsehnachrichten zwar nicht verstanden aber gehört hatte, sofort „Mysterio“ getauft. Beck gefällt der Name. Er stammt ebenfalls von der Erde, jedoch aus einer anderen Dimension des Multiversums. Er erzählt Peter von den "Elementals", die seine Welt zerstört und seine Familie ausgelöscht haben. Drei von diesen, die nun die Erde bedrohen, konnte er bisher vernichten, lediglich ein Feuermonster gilt es noch zu besiegen, dessen Auftauchen in Prag vermutet wird.

Peter will aber nicht nach Prag, er will nach Paris. Auf den Eiffelturm. Zu MJ. Kurzerhand sorgt Fury für ein nicht weiter erklärtes Upgrade der Klassenfahrt durch den Reiseveranstalter und aus Paris wird Prag. Hier warten ein Feuermonster sowie eine interessante Erklärung MJs …

Was zu sagen wäre

Achtung: Spoiler

Es ist erstaunlich, dass "Mysterio", einer der ältesten Gegner Spider-Mans (#13, 1963), so lange gebraucht hat, um es auf die Leinwand zu schaffen. Schließlich war sein Alter Ego in seiner Ur-Form nicht nur Stuntman; seine mörderischen Illusionen erschuf er mit Hilfe damaliger Special-Effect-Technik. Mysterio ist die personifizierte Illusionsmaschine, die aus Bits und Bytes gigantische Welten erschafft. Das Fleisch gewordene Marvel Cinematic Universe.

Nun ist er also endlich da. Und wird seinem Ruf gerecht, die perfekte Illusionsmaschine zu sein. Das geht schon damit los, dass der Film und dessen Marketing Mysterio als Helden verkaufen, als einen Retter der Menschheit. Und weil dieser Quentin Beck von Jake Gyllenhaal gespielt wird, der mit großen, warmherzigen Augen immer das Richtige zu Peters Gefühlswirrungen sagt, möchten wir ihm auch wirklich glauben. Aber natürlich wissen 100 Prozent der Spider-Man-Fans, dass dieser nette Mysterio eben eine Illusion ist, einer der ältesten und schärfsten Gegner Spider-Mans. Mysterio war schon gruselig, als Spider-Mans heutiger Promigegner Venom noch nicht einmal angedacht war.

Cover: Spider-Man #13, 1963

Heute aber, im 21. Jahrhundert, kämpft Quentin Beck nicht mehr mit mitgebrachten Spezial Effekten. Sondern mithilfe der Hightech aus dem Hause Stark-Industries; der neue Quentin Beck ist einer jener ehemals namenlosen Tüftler aus den Stark-Labors, deren Genialität viel zum Erfolg der Stark Industries beigetragen haben, die von Starks Eitelkeit – Beck würde sagen: Arroganz – aber schlicht verdrängt wurden. Seine Motivation hingegen ist dieselbe wie damals: Er will endlich die Anerkennung, von der er glaubt, dass sie ihm zusteht. Also inszeniert er Katastrophen, vor denen er die Menschen dann erfolgreich rettet.

Gleichzeitig ruinierte er – damals – den guten Ruf Spider-Mans. Im aktuellen Film deutet sich das in der Mid-Credit-Scene an und schürt die Vorfreude auf die Fortsetzung.

Mysterio, obwohl am Ende irgendwie tot, ist in "Far from Home" zu gut, um ihn nach nur einem Film aus dem MCU zu kicken. Denn was er im Comic nur sehr schwer hinbekam – dem gezeichneten Bild sind Grenzen gesetzt – , schafft er in der Illusionsmaschinerie des 21.-Jahrhundert-Kinos locker: Er und seine Illusionstricks überzeugen. Weil sie der Peter-Parker-Welt, in der Teenager nach ihrer Identität suchen, nach den Wahrheiten zwischen den Lügen und mit ihren Hormonen kämpfen, eine adäquate Prüfung gegenüberstellen, ihr ein nachvollziehbares Momentum geben.

Es ist nicht so, dass die vielen Vorgängerfilme nicht auch eine Teenage-Lovestory hatten oder nicht die Probleme eines jungen Mannes anrissen, der im Schulklassenkampf Oberwasser sucht und immer zu wenig Geld hat. Aber das waren dann ein paar Szenen, bis die Action gegen bizarre Gegner wie Green Goblin oder Doc Octopus wieder losging. Und meistens scheiterten die Filme, auch der Vorgänger, dann an dieser Action, sodass die Filme alle so irgendwie ganz okay waren. Gibt es eigentlich was Schlimmeres für eine Multimillionen-Dollar-Produktion, als als irgendwie ganz okay zu gelten? Auch in "Far from Home" sind die Actionszenen ein eher notwendiges Übel – die gehören halt dazu – in einer charmanten Identitätsfindung eines hormonell Verwirrten.

Denn während der Schurke den Applaus sucht und dafür Katastrophen inszeniert, also dreidimensionale Fake News produziert, die in genannter Mid-Credit-Scene von Spider-Mans ewiger, niemals nie nie nicht tot zu kriegender Nemesis J. Jonah Jameson und dessen Daily-Bugle unterstützt werden – einer Art Fox News im MCU – will der Junge in dem Spider-Man-Kostüm eigentlich eben diesen Applaus nicht mehr. Anders noch, als im Vorgängerfilm, als die Abenteuer noch frisch und aufregend waren und er gerne mehr davon gehabt hätte, würde ihm nach dem intergalaktischen Thanos-Intermezzo die Anerkennung MJs völlig reichen. Und natürlich würde er auch gerne Europa sehen, durch das sie da reisen, einen Teil jener Welt also, die er vor ein paar Monaten gerettet hat.

In diesem Teil beginnt, zumindest für den durchschnittlichen Europäer, der etwas nervige Aspekt dieses Films: der Blick Hollywoods, der US-Blick auf unseren Kontinent. Müssen wir dankbar sein, dass Europa in der Marvel-Welt wenigstens nicht mehr wie in den 1970er Jahren noch jener immer grau gemalte Kontinent ist, bevölkert von unterjochten Unterernährten in kargen Hütten, kujoniert von Typen, die als Doctor Doom oder als Red Skull nach der Weltherrschaft greifen? Nein. Müssen wir nicht. So viel Selbstbewusstsein darf sein.

Marvels Europa sieht so aus: Venedig, jene Stadt, die in der Realität droht, in einer Touristenschwemme unterzugehen, noch immer aber zu den spektakulärsten Städten Europas gehört, dient als bezaubernde Kulisse für die CGI-Abrissbirne, in der der US-Klassenlehrer ein paar Witze über Wasserpfützen aufsagen darf. Die Prager Oper ist in diesem Film ein Ort, in den sich 15, 20 ältere Herrschaften verirren, um sich eine vier Stunden dauernde musikalische Darbietung anzusehen; was gegeben wird, ist nicht so wichtig. Für die US-Hollywoodianer ist Oper eine aus der Zeit gefallene Kultur; gerade gut genug, um US-Teenager aus ihr ins Abenteuer zu vertreiben. Berlin in diesem Film ist nur ein Ort … naja, wahrscheinlich, um der zahlungskräftigen Kundschaft hierzulande den Kinobesuch schmackhaft zu machen. Mehr als der Bahnhof taucht nicht auf, den Rest mimikrit ein Gebilde aus Stahlbeton mit Glasfassade und Tiefgarageneinfahrt. London schließlich besticht mit seinen Sehenswürdigkeiten, von denen einige den Besuch Mysterios nicht überstehen.

So viel zur Kritik aus europäischer Sicht an diesem US-Film, an die ich noch anschließen möchte: Dem gewaltigen Score, der irgendwie die Grandezza des Avenger-Adels hochhalten will, hätte es gut getan, drei Gänge runterzuschalten. Komponist Michael Giacchino erschlägt die leisen Zwischentöne des Drehbuchs. Grob gesagt: Die Oper, die Gefühl in musikalischen Bombast verpackt, nimmt der Film nicht ernst und ersäuft aber seine eigene Emotion in eben jenem musikalischen Bombast.

Liebesirrungen und Wer-bin-ich-Wirrungen eines Teenagers behandelt die US-Filmindustrie ununterbrochen. Selten tritt dabei Überraschendes zutage. Wenn es denn dann wenigstens unterhaltsam verpackt wird. Jon Watts, der vor Spider-Man: Homecoming (2017) vor allem mit TV- und Kurzfilmen in Erscheinung getreten ist, gelingt das besser als in seinem ersten Spider-Man-Film, in dem noch jeder Waffenhandel auf der Straße wichtiger war, als eine Prom Night mit der Love Interest. Jetzt sind Watts Schüler und deren Verwicklungen auf Klassenfahrt interessanter, als Spider-Mans Luftkämpfe – ganz im Geist der klassischen Comics. Und Watts findet mit seinen Autoren Chris McKenna und Erik Sommers auch eine schlüssige Erklärung dafür, dass der mit – galaktischen Bedrohungen gegenüber – limitierten Kräften ausgestattete Spider-Man plötzlich globale Bedrohungen bekämpfen muss, obwohl er eigentlich viel lieber das wäre, was ihm sein Mentor Tony Stark einst aufgetragen hat zu sein: der freundliche Nachbar Spider-Man. Woraus allerdings der verblichene Tony Stark die Erkenntnis zog, den 16-jährigen Peter Parker mit E.D.I.T.H. auszustatten, eines der machtvollsten Kontrollinstrumente der Welt, bleibt ein comictypisches Rätsel.

"Spider-Man – Far from Home“ ist offiziell der Abschlussfilm der Phase 3 des MCU. Ob es eine Phase 4 geben wird, ist zum Zeitpunkt des Filmstarts noch unklar. Die Post Credit Scene lässt allerdings Raum für allerlei Spekulationen im Großen wie im Kleinen.

Wertung: 6 von 8 €uro
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