Buchcover: John Irving - Die vierte Hand
Eine große Erzählung über
die Liebe und den Verlust
Titel Die vierte Hand
(The fourth hand)
Autor John Irving, USA 2001
aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl
Verlag Diogenes
Ausgabe Taschenbuch, 439 Seiten
Genre Drama
Website john.irving.com
Inhalt

Während einer Indienreise wird dem Fernsehjournalisten Patrick Wallingford vor laufender Kamera von einem Zirkuslöwen die linke Hand abgebissen; das beschert ihm einen ungeheuren Bekanntheitsgrad. die Welt kennt ihn jetzt als den Löwenmann. Bisher war Wallingford eher als Schürzenjäger bekannt denn als seriöser Nachrichtenmann – wie auch? Der Sender, für den er arbeitet, ist als der Katastrophensender bekannt.

In Boston wartet ein Handchirurg auf seine erste Transplantation, in Wisconsin ist eine junge Ehefrau wild entschlossen, dem Reporter die Hand ihre Ehemanns zu geben, der allerdings noch kerngesund ist. Aber der Reihe nach: Wallingford, dem sein Leben langsam entgleitet, ebenso, wie ihm die Ehefrau entgleitet, die seine Eskapaden leid ist, trifft auf Dr. Zajac, einen Experten im Bereich der Handchirurgie. Der möchte bei ihm die erste erfolgreiche Handtransplantation der Welt durchführen. Als möglicher Spender kommt ein gewisser Otto Clausen in Frage.

Mr. Clausen ist glücklich verheiratet. Das Einzige, was dem Ehepaar Clausen fehlt, ist ein Kind. Bei einem tragischen Unfall am Superbowl-Sonntag kommt Mr. Clausen ums Leben. Mrs. Clausen, welche ihren Mann darum gebeten hatte, sich als Organspender zu bewerben, bringt die Hand sofort nach Boston zu Dr. Zajac. Dort trifft sie auf Patrick Wallingford, den sie um ein Kind bittet, woraufhin es zum Geschlechtsakt kommt. Am Ende des Tages ist Patrick Wallingford um eine Hand reicher und Doris Clausen schwanger. Doris Clausen hat vor der Transplantation dafür gesorgt, dass sie und ihr (zu dem Zeitpunkt noch ungeborenes) Kind ein Besuchsrecht bei der Hand erhalten. Damit ist der mittlerweile in Mrs. Clausen verliebte Patrick Wallingford einverstanden …

Was zu sagen wäre
Die vierte Hand

John Irving ist ein großartiger Erzähler. Das beweist er mit „Die vierte Hand“. Er macht nicht viel aufhebens um schriftstellerische Kniffe, baut keine Cliffhanger, formuliert keine bedeutungsschwangeren Dialoge, setzt keine verswteckten Tipps. John Irving erzählt. Und das tut er, wie weiland der Großvater am Bett seines enkels kurz vor dem Licht aus.

Und genau wie damals ist an Licht aus auch bei diesem Irving-Roman kaum zu denken. Seine Geschichte beginnt in Indien mit dem unschönen Vorfall des Abbeißens der Hand, hält sich dort aber nicht übermäßig lange auf und fabuliert schon um den halben Erdball zu dem eitlen Handchirurgen Dr. Zajac und dessen verhaltensauffälligen Sohn, seiner bemitleidenswert in in ihn und darum abnehmend und Fitness betreibenden Haushälerin Irma, seinem Scheiße fressenden Hund, zur Mannschaft des Nachrichtensenders, die vornehmlich aus Frauen zu bestehen scheint, die Patrick Wallingford eigentlich alle bestiegen hat, egal ob mit oder ohne Hand, Mr. Wallingford wird von Irving mit ausgesprochen attraktivem Äußeren beschrieben; nur eine hat er nicht bestiegen, die junge Redakteurin Mary, die eine unglückliche Ehe hinter sich und sich nun in den Kopf gesetzt hat, dass Wallingford, der doch ohnehin jede vögelt, ihr nun bitte ein Kind machen soll. Und schon wechselt Irving nach Wisconsin zum Ehepaar Clausen, glühende Verehrer der Green Bay Packers, die in der National Football League eher nicht so zu den großen Mannschaften zählen – und schließlich zu einer ganz und gar wunderbaren, weil harmonisch unromantisch erzählten Liebesgeschichte, die … aus dem Nichts kommt – was ja bei Liebesgeschichten durchaus immer wieder vorkommt.

Irving erzählt in seinem Buch vom Verlust, von der immer wiederkehrenden Hoffnung auf einen Neuanfang, von der Einsamkeit und Ziellosigkeit des Großstädters, davon, wie er sich festgefahren hat in den Strukturen des Alltags. Nebenbei wirft er einen gehässigen, wiewohl realistischen Blick in das Personal und die Politik eines quotenabhängigen Nachrichtensenders – liebevoll und bösartig zugleich.

Die stärkste Figur im Roman ist Doris Clausen, die Walingford unbedingt, die Hand ihres – noch nicht – verstorbenen Gatten vermachen will. Die Stärke diese Figur liegt vielleicht darin begründet, dass Irving sie kaum beschreibt. Sie entsteht vor unserem Auge nur durch die verliebte Brille Patrick Wallingfords, was ein unerhörter Kniff des Erzählers ist, denn dadurch wächst Mrs. Clausen, die zu Beginn eher eine etwas tantige Gattin mit rätselhaftem Geltungsdrang ist, zu over-the-Top-Traumfrau, die ihren neuen Verehrer am langen Arm auf Abstand hält.

Dieses Buch mit seinen Irving-typischen Katastrophen und Nebenbei-Untergängen liest sich locker und beschwingt und entfaltet währenddessen ein ganzes Panorama an liebenswerten Menschen.

Ich habe „Die vierte Hand“ vom 10. Februar bis zum 6. März 2015 gelesen.