Buchcover: Florian Illies - Anleitung zum Unschuldigsein
Erschreckend realer Blick,
Daher zum Quieken komisch
Titel Anleitung zum Unschuldigsein
Autor Florian Illies, Deutschland 2001
Verlag ARGON
Ausgabe Gebunden, 236 Seiten
Genre Biografie, Dokumentation
Inhalt

Das Leben könnte so schön sein, wenn unser schlechtes Gewissen nicht wäre, das große Unbekannte Wesen hinter unserer Stirn und unser ständiger Begleiter. Das „Übungsbuch für ein schlechtes Gewissen” beschreibt in 23. Kapiteln – genauer: Problembeschreibungen und Lösungsvorschlägen – warum und wo der Deutsche immer ein schlechtes Gewissen zu haben hat und dieses offenbar auch mit Genuss pflegt!

Der Klappentext beschreibt: „Da es keine verbindliche Moral mehr gibt, keine objektiven Maßstäbe für Gut und Böse, haben wir uns alle im Laufe der Zeit ein sonderbares Gedankengebäude errichtet, nach dem der gut ist, der joggt und auf dem Wochenmarkt frische Tomaten kauft, und der schlecht, der nicht joggt und Pommes mit Ketchup mag."

Was zu sagen wäre
Anleitung zum Unschuldigsein

Ich mag keine Pommes mit Ketchup! Aber ich liebe Pommes mit Mayo! „Wie gut, dass wir offenbar keine andere Sorgen haben”, lautet der letzte Satz in Illies' zweitem Buch nach „Generation Golf” und auch dieser letzte Satz würde nicht verhindern, dass manche Menschen jeden Satz aus diesem herrlich sarkastischen Buch für bare Münze nehmen und folgerichtig die Steinzeit der Sozialisation lautstark herbeireden wollten – wie gesagt: „manche Menschen würden”, würden sie nur dieses Buch lesen. Aber diese Gefahr besteht nicht.

Illies, mit 31 Jahren schon leitender Redakteur der „Frankfurter Allgemeinen zeitung” (FAZ), ist bei diesen „manchen” eher unbekannt. Seine Leser rekrutieren sich aus der Schar derer, die schon bei „Generation Golf” dauernd „Jaaaaaaa … Genaaauuuu!” gequiekt haben. Ob er sich über die deutsche Manie zum Mülltrennen äußert – „Meinen täglichen gedanklichen Aufwand (zum Thema) würde ich mit 3,2 Minuten berechnen, wenn man das mal hochrechnet auf achtzig Millionen Müll machende Deutsche, dann könnte man (manche können so etwas ausrechnen) wahrscheinlich erklären, dass Deutschland täglich insgesamt vier Jahre lang über die Mülltrennung nachdenkt.”

  • Ob seine Kapitel nur aus der Überschrift bestehen (weil mehr nicht gesagt werden braucht) – „Heute kaufe ich einen Tisch aus Tropenholz, einen Teppich, der in Kinderarbeit hergestellt wurde, und zehn Schachteln Eier aus einer Legebatterie”
  • ob er sich über das sexuelle Unvermögen langjähriger Partnerschaften auslässt – „Der Mann (besetzen wir die Rollen einmal dem Klischee nach) hofft heute abend auf Sex, er weiß, dass sie (er nicht), um in die richtige Stimmung zu kommen, Kerzenbeleuchtung schätzt. Nun sucht er nach Kerzen, doch während des Suchens beschleicht ihn der Gedanke, dass sie es vielleicht als zu großen Druck empfinden würde, wenn sie merkt, dass er alles auf das Miteinanderschlafen vorbereitet. Er erinnert sich, dass sie ihm das letzte Mal sagte, dass sie verkrampfe, wenn sie merke, dass sie funktionieren müsse und es keinen Raum gebe für eine spontane Entscheidung, miteinander ins Bett zu gehen. Wenn die Kerzen brennen, dann habe sie wollen zu müssen, wolle sie nicht, dann müsse sie sich entschuldigen und mit Schuldgefühlen ins Bett legen. Aber sie habe keine Lust, sich dafür zu entschuldigen, deshalb solle er bitte nicht solchen unglaublichen Druck ausüben und die Kerzen auslassen.”

Illies lässt seinen Lesern keinen Ausweg aus der Schuldgefühlsfalle und erreicht eben jenes Lachenimhalsesteckenbleiben, weil man es ähnlich auch schon erlebt, gemacht, nicht verhindert hat.

Am Ende bleibt eigentlich nur die Frage, wie politisch korrekt krank eine Gesellschaft eigentlich sein muss, dass ein Buch wie die „Anleitung zum Unschuldigsein” mittlerweile in der 3. Auflage verkauft werden kann. Haben wir eigentlich nicht Besseres zu tun?

Offenbar nicht! „Wie gut, dass wir offenbar keine andere Sorgen haben.”