Buchcover: Michel Houellebecq – Elementarteilchen
Houellebecqs Gesellschaft
ist kalt, aber nicht herzlos
Titel Elementarteilchen
(Les particules élémentaires)
Autor Michel Houellebecq, Frankreich 1998
aus dem Französischen von Uli Wittmann
Verlag List
Ausgabe Taschenbuch, 357 Seiten
Genre Drama
Inhalt

Präzise und sachlich berichtet Michel Houellebecq vom glücklosen Leben der Halbbrüder Bruno und Michel. Ihre Mutter, eine radikale Jüngerin der 68er-Ideale, widmet sich ganz ihrer sexuellen Selbstverwirklichung und sorgt so dafür, dass das Leben ihrer Söhne von kalter Einsamkeit geprägt ist.

Bruno, der Ältere, wird zum Opfer seiner verzweifelten sexuellen Obsessionen. Michel ist Molekularbiologe und verbringt sein autistisches Forscherleben zwischen Supermarkt und Psychopharmaka, bis er in einem gentechnischen Institut in Irland das unsterbliche und geschlechtslose menschliche Wesen klont – eine Vision jenseits von Egoismus und sexuellem Elend …

aus dem Klappentext

Was zu sagen wäre
Elementarteilchen

Houellebecq erzählt nicht chronologisch eine Geschichte, sondern springt von Eindruck zu Eindruck und beschreibt mit drastischer Sprache. Immer wieder baut er physikalische Phänomene ein, eben die der Elementarteilchen, die sich exakt vorausberechnen lassen und erklärt sie ausschweifend. Diese Elemtarteilchen vergleicht er mit dem Menschen im ausgehenden 20. Jahrhundert. Aus der Perspektive des ausgehenden 21. Jahrhunderts erzählt er vom Beginn der nächsten metaphysischen Wandlung der Menschheit – also radikale globale Veränderungen der von der Mehrzahl der Menschen geteilten Weltanschauung, Beispiel Christentum: Es löste die Macht des römischen Reiches ab, bot im Mittelalter ein umfassendes Erklärungssystem für die moderne Wissenschaft und konnte „jedoch nicht vor dem Niedergang“ bewahrt werden.

Nichts rechtfertigt die Nähe zum anderen Geschecht - außer der Fortpflanzungstrieb

Diesen Niedergang hat Michel entscheidend zu verantworten. Brillant beschrieben kommen beide Brüder zum selben Schluss. Während der im Internat brutal misshandelte Bruno am gesellschaftlichen Individualismus verzweifelt und menschliche Zuneigung nur noch in Swingerclubs findet und schließlich in einem Sanatorium endet, hat sich Michel aus der sexuellen Welt ganz fern gehalten. Er beobachtet und kann nichts finden, dass eine befriedigende Nähe zum anderen Geschlecht rechtfertigt – außer dem Fortpflanzungstrieb. Seit die westliche Gesellschaft jedoch zunehmend in Individualität erstarrt, in der Reichtum, Macht, Egoismus wichtiger sind, als das Aufziehen von Kindern, ist die Gesellschaft zum Aussterben verdammt. Michels Erziehung, in der Sex stets eine negative Begleiterscheinung war, prädestiniert ihn dazu, ein neues Zeitalter einzuläuten.

Kalt und analytisch macht Houellebecq die 68er zum letzten Sargnagel der heutigen Gesellschaftsform, jene New Age-Typen, die den Neuen Freien Geist abseits eingetrampelter Religionswege in Sommercamps mit Partnertausch predigen und dann sagen, „Ja und? Fickclubs hat es schon immer gegeben. Hier gelten dieselben Regeln wie überall: Es wird gevögelt, was das Zeug hält – nur halt nicht heimlich – und die Dicken und Hässlichen kriegen niemanden ab!“

Zwingend logischer Niedergang

So zwingend logisch und in Romanform habe ich den Niedergang der sogenannten Ersten Welt noch nie beschrieben gesehen. Ich neige dazu, zu glauben, dass es genau so kommen wird. Houellebecqs Ansichten über moderne Sexualität sollte dringend aus den elitären Elfenbeinturm-Diskussionen befreit, und in allen Lebensgemeinschaften zwischen Frau und Mann wieder aufgenommen werden.