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Plakatmotiv: Gosford Park (2001)

Böse, Spöttisch, Klug
und präzise gespielt

Titel Gosford Park
(Gosford Park)
Drehbuch Robert Altman & Julian Fellowes & Bob Balaban
Regie Robert Altman, UK, USA, Italien 2001
Darsteller

Maggie Smith, Michael Gambon, Kristin Scott Thomas, Camilla Rutherford, Charles Dance, Geraldine Somerville, Tom Hollander, Natasha Wightman, Jeremy Northam, Bob Balaban, James Wilby, Claudie Blakley, Laurence Fox, Trent Ford, Ryan Phillippe, Kelly Macdonald, Clive Owen, Helen Mirren, Eileen Atkins, Alan Bates, Emily Watson, Derek Jacobi, Richard E. Grant, Sophie Thompson, Jeremy Swift, Meg Wynn Owen, Adrian Scarborough, Stephen Fry, Ron Webster u.a.

Genre Drama
Filmlänge 137 Minuten
Deutschlandstart
13. Juni 2002
Inhalt

England, 1932: Auf dem ländlichen Anwesen hat sich eine illustre Gesellschaft eingefunden. Die Anwesenden sind einer Einladung des ebenso wohlhabenden wie eigenwilligen Sir William McCordle und seiner Frau Lady Sylvia gefolgt. Neben der versnobten Lady Constance und dem galanten Lord Stockbridge gehören unter anderem der Hollywoodstar Ivor Novello und der amerikanische Filmproduzent Morris Weissman zu den Gästen. Mit gutem Essen, Musik und Jagdausflügen vertreiben die Herrschaften sich die Zeit. Allerdings bleiben Spannungen nicht lange aus. Vor allem Lady Constance genießt es, für Unruhe zu sorgen und die Gäste aus Hollywood mit süffisanten Sticheleien zu demütigen.

Die zahlreichen Bediensteten, darunter die strenge Hausdame Mrs. Wilson, der überhebliche Butler Henry Denton und der geheimnisvolle Robert Parks, leben derweil in einer Art Parallelwelt. Hinter den Kulissen durchschauen die Diener und Zofen so manches Ränkespiel der feinen Herrschaften, pflegen untereinander aber ähnliche Hierarchien wie ihre aristokratischen Arbeitgeber: Eine Klassengesellschaft innerhalb der Klassengesellschaft.

So nimmt ein feudales Wochenende der englischen Upper Class seinen Lauf, bis ein dramatischer Zwischenfall die Anwesenden aus ihrer selbstgefälligen Lethargie reißt: Vor der versammelten Gästeschar kommt es zwischen Sir William und Lady Sylvia zu einem heftigen Streit. Am gleichen Abend wird der Gastgeber ermordet aufgefunden. Dies ruft Inspektor Thompson auf den Plan, der mit seiner linkischen Art und seinen naiven Fragen jedoch kaum fähig scheint, Licht in die Sache zu bringen. Verdächtige gäbe es genug: Mehrere der Hausgäste hätten ein gutes Motiv, dem grantigen McCordle nach dem Leben zu trachten. Nach und nach kommt es zu immer neuen Enthüllungen. Ein Geheimnis scheint beide Welten miteinander zu verbinden …

Was zu sagen wäre

Eine feine Wochenendgesellschaft auf britischem Landsitz, adlig, gelangweilt, teilweise verarmt, intrigant und zynisch. Und auch nicht so fein, wie es den Anschein hat. Dann geschieht ein Mord. Dessen Aufklärung von einem Inspector vorangetrieben wird, bei dem man nicht den Eindruck hat, dass er sich wirklich für das Geschehene interessieren würde. Auch wenn der Plot mit dem Mord zentral für die Geschichte ist – das Opfer wurde erstochen, nachdem es schon vergiftet worden war – ist er nicht zentral für den Film.

Robert Altman dreht zum ersten Mal in Großbritannien und augenscheinlich hatte die gesamte britische High Cineciety Interesse, mit dem berühmten amerikanischen Ensemble-Künstler zu arbeiten (Dr. T and the Women – 2000; Cookie's Fortune – 1999; The Gingerbread Man – 1998; Prêt-à-Porter – 1994; Short Cuts – 1993; The Player – 1992; "Nashville" – 1975; Der Tod kennt keine Wiederkehr – 1973; "McCabe & Mrs. Miller" – 1971; M.A.S.H. – 1970). Den Spaß, denn alle gemeinsam an den Sets hatten, sieht man dem Film an, der über eine Stunde  lang nicht so recht von der Stelle kommt. In dieser Zeit hat Robert Altman genug damit zu tun, die Gesellschaften Above Stairs und Below Stairs zu durchdringen, die Welten der Herr- und die der Dienerschaft. Mit präziser Kameraführung durchleuchtet er das hierarchisch streng geordnete Gestrüpp, wer steht über wem, wer darf in welche Räume und was gehört sich überhaupt nicht. Und zwischendrin vögelt sich der ungeliebte Hausherr durch seine Dienerschaft. Der thront über allen wie ein absolutistischer König und scheint der einzige unabhängige, weil reiche Mann im Film zu sein, von dem im britischen Ständesystem, das 1932 noch sehr stark ausgeprägt ist, alle anderen mehr oder weniger abhängig sind. Die Hierarchien gibt es natürlich auch below. Dort streiten sich die Köchin Mrs. Croft und die Hausdienerin Mrs. Wilson, wer das letzte Wort hat; Wilson wird schmallippig gespielt von einer beeindruckend grauen und unscheinbaren Helen Mirren (Das Versprechen – 2001; Tötet Mrs. Tingle! – 1999; "Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber" – 1989; Mosquito Coast – 1986; Excalibur – 1981; Caligula – 1979).

Robert Altman spiegelt seine eigene Situation am Set in der Rolle eines amerikanischen Filmproduzenten, Morris Weissman, der eine fiktive Figur ist, aber einen Film plant, "Charlie Chan in London", der dann 1934 in die Kinos kam, produziert tatasächlich von John Stone. Morris Weissman hängt in "Gosford Park" unablässig am Telefon, weil es Schwierigkeiten mit der Finanzierung und der Besetzung dieses Filmes gibt und dabei ist er erstaunt über die Besonderheiten in britischen Haushalten, dass Butler keine Diener sind oder Kammerdiener keine Hausdiener, alles Erkenntnisse, die er in seinen Film einfließen lassen wird, die auch Robert Altman in seinem Film seziert

Die Welten der Below Stairs und Above Stairs erweisen sich als keineswegs so strikt getrennt voneinander, wie das Ständesystem das vorgaukelt. Klatsch und Tratsch wandern nicht nur durch die eigenen Reihen sondern auch von Unten nach Oben und von Oben nach Unten. Und dann hängt der Hausherr schließlich ermordet über seinem Schreibtisch und wo bei Agatha Christie nun das ausgiebige Verhör durch einen brillanten Detektiv beginnt, stolpert der Inspector eher oberflächlich interessiert durchs Haus, während sein Constable allerlei Beweismittel sichert, die den Inspector aber noch weniger interessieren. Plakatmotiv: Gosford Park (2001) Die Kamera steht meist am Rande und beobachtet das Geschehen. Robert Altman hat nicht mit Mikrofonangel gedreht. Alle Schauspieler waren verdrahtet, sodass alle Gespräche im Raum gleich laut zu hören sind und erst in der Mischung auseinander und ineinander geblendet werden; die Schauspieler waren augenscheinlich nicht an fixe Textdrehbücher gebunden. Altman ließ in vielen Ensemble-Szenen improvisieren und die Kamera laufen. Zwischen den Verhören führt das zu einer Kakophonie versnobten Geschnatters. Niemand vermisst den Toten, viele haben ein handfestes Motiv, aber wenig Lust, sich von diesem Polizisten niederen Standes befragen zu lassen. Am liebsten gehen sie gleich wieder zur Tagesordnung über.

Vom Mord an läuft das Ballett der Beteiligten auf Schiene. Haben wir das Schauspiel bis dahin amüsiert oder ein wenig angeekelt ob der abgehobenen Arroganz des britischen Adels verfolgt und versucht, stets den richtigen Namen dem passenden Gesicht zuzuordnen, zieht uns jetzt der rote Faden durch den Film, obwohl Altman den Inspector alles tun lässt, um die Auflösung des Whodunit zu verhindern. Aber es gab einen Mord und der Zuschauer will nun erfahren … und er erfährt. Allerdings nicht durch die Polizei. Die aufgeweckte Kammerzofe Mary Maceachran, eine Anfängerin in ihrem Job, der sie in die Fänge der großartigen Maggie Smith (Harry Potter und der Stein der Weisen – 2001; Tee mit Mussolini – 1999; Der Club der Teufelinnen – 1996; Sister Act – Eine himmlische Karriere – 1992; Hook – 1991; Das Böse unter der Sonne – 1982; "Das verrückte California Hotel" – 1978; Tod auf dem Nil – 1978; Eine Leiche zum Dessert – 1976) als Lady Constance „Ich bin kein bisschen versnobt!“ von Trentham getrieben hat, hat hingehört und hingeschaut und löst das Rätsel schneller, als die Zuschauer im Kinosessel des Jahres 2001, die im strengen Oben und Unten nicht zuhause sind.

Unentwegt während des Films erfahren wir von den Problemen der Macher above Stairs. Hier fehlt Geld, da kippt eine Existenz, dort weiß einer nicht, welche der drei Töchter aus vermögendem Haus er zur Frau nehmen soll, hier fühlt sich eine Gräfin vom lästigen Leben belästigt und da weiß einer nicht, wie er seinen Film besetzen soll. Damit sind wir so abgelenkt, dass wir kaum mitkriegen, dass die Probleme des Personals, in Nebensätzen geäußert, fundamentaler sind als die der Herrschaften. Am Ende hat auch der Zuschauer im 2001er Kinosessel auf unterhaltsame, dramatische, erschreckende und manchmal auch brutale Art die wahre Härte des britischen Ständesystems begriffen, die gleiches Recht für alle nicht kennt.

Hintergründig böse, brillant gespielt, spöttisch, menschlich, eine kluge, vielschichtige Komödie über die Grausamkeit hinter der glänzenden Fassade der feinen Gesellschaft.

Wertung: 6 von 6 €uro
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