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Plakatmotiv: Gefährliche Begegnung (1944)

Sympathische Figuren in Teufels Küche
Fritz Langs boshafte Folterwerkzeuge

Titel Gefährliche Begegnung
(The Woman in the Window)
Drehbuch Nunnally Johnson
nach dem Roman „Die Frau im Fenster“ („Once Off Guard“, später: „The Woman in the Window“) von J. H. Wallis.
Regie Fritz Lang, USA 1944
Darsteller
Edward G. Robinson, Joan Bennett, Raymond Massey, Edmund Breon, Dan Duryea, Thomas E. Jackson, Dorothy Peterson, Arthur Loft, Frank Dawson u.a.
Genre Drama, Film Noir
Filmlänge 107 Minuten
Deutschlandstart
20. Juli 1950
Inhalt

Richard Wanley ist Psychologieprofessor, sein Spezialgebiet ist die Kriminologie. Eines Tages gerät er selbst in einen Kriminalfall hinein: Er lernt die Frau kennen, deren Bild, das er tagtäglich in einem Schaufenster sieht, er schon lange bewundert.

Plakatmotiv: The Woman in the Window – Gefährliche Begegnung (1944)Er begleitet sie nach Hause und trifft dort auf den eifersüchtigen Ehemann, mit dem sich ein heftiger Streit entwickelt. Im Kampf tötet er den Mann, und die beiden versuchen nun, den Mord zu vertuschen.

Nicht nur die Polizei ist nun hinter dem Mörder her, auch ein Erpresser hat die Geschichte mitbekommen und setzt den Professor und die Witwe nun unter Druck …

Was zu sagen wäre

Ein unbescholtener, grundsolider Mann – ein Professor, der eben seinen Studenten die differenzierte Betrachtung von Mord, Totschlag und Notwehr erläutert hat, gerade seine geliebte Frau und die zwei Kinder in den Zug in die Ferien gesetzt hat und jetzt mit seinen Freunden im Club bei einer guten Zigarre darüber schwadroniert, ob sich Männer in ihrem Alter noch junge Mätressen erlauben sollten und zu dem Schluss kommt, dass „besser nicht“. Zehn Minuten später sitzt er bei einer fremden jungen Frau im Wohnzimmer und hat einen Mann erstochen, den Liebhaber der Frau, in Notwehr.

Der Mann ist Professor für Kriminologie, er kennt sich aus, er weiß, was die Polizei als Anhaltspunkt auf den Täter erkennen könnte und räumt gründlich auf – glaubt er. Aber er macht in seiner unbewussten Arroganz bei der Beseitigung der Leiche lauter Fehler und hinterlässt Spuren: An einer Brücke mit Mautstelle lässt er das Geldstück fallen und muss umständlich nach einem neuen suchen. Auf diese Weise kann sich der Brückenwächter sein Fahrzeug einprägen. Im Wald hinterlässt Wanley Reifenspuren und Fußabdrücke, die später von der Polizei gefunden werden. An einem Stacheldraht im Wald zerreißt er sich seinen Anzug und verletzt sich, so dass die Polizei später Stoffreste und Blutspuren findet. Da er nicht weit genug in den Wald hineingehen kann, wird die Leiche bald von Pfadfindern gefunden.

Fritz Lang erzählt sehr raffiniert von dem unschuldigen Mann, den überraschend Edward G. Robinson spielt, groß geworden mit Rollen kleiner und vor allem großer Gangster („Frau ohne Gewissen“ – 1944; Orchid, der Gangsterbruder – 1940; Kid Galahad – Mit harten Fäusten – 1937; Wem gehört die Stadt? – 1936; Der kleine Caesar – 1931). Hier ist er der an sich liebenswürdige, sich aber zunehmend in dumme Fehler verstrickende Mann, der sich keine Blöße geben will und sich so immer nur mehr entblößt – beinahe führt er sogar selbst die Polizei zum Fundort der Leiche, den er natürich kennt, den er aber besser nicht kennen sollte.

Plakatmotiv: The Woman in the Window – Gefährliche Begegnung (1944)Er will das Mädchen aus der Sache raushalten, jenes Model auf dem Ölgemälde im Fenster, über das wir nur wissen, dass ihr Leben wohl von einem jähzornigen Sugar Daddy finanziert worden ist, der nun tot ist; was sie sonst macht, bleibt ungesagt und ungezeigt. Auch damit hält Lang die Spannung hoch: Spielt die Frau vielleicht doch ein Spiel? Aber wie? Anders als Alfred Hitchcock braucht Lang für seinen Suspense keine ticking Clock, keine Bombe unterm Tisch. Langs Suspense entsteht aus der menschlichen Ungeschlicklichkeit, die uns allen so eigen ist. Wir im Kinosessel verstehen diesen armen Professor ja total gut – auch mit all seinen dummen Fehlern, die sich Edward G. Robinson als Großstadt-Mobster nie erlaubt hat; endlich ist er mal menschlich und dann sowas!

Und bald jongliert der Regisseur mit allerlei Bällen, die auf den sympathischen Professor einstürzen können, der schließlich so gut wie überführt ist ein Ehebrecher und Mördfer zu sein, sodass ihm kein anderer Ausweg bleibt, als der ultimative. Aber da hat Friotz Lang noch eine Überraschung im Köcher. Die Schlussszene, die in der Romanvorlage nicht existiert, wurde entgegen der landläufigen Meinung nicht von der Hays-Zensurbehörde aufgezwungen, sondern gehörte zu Langs Intention. Er zeigt dem Publikum all seine Folterwerkzeuge, mit denen er es nun um den Verstand bringen wird, um dann doch die fiktionale Kinoebene zu wählen.

Der deutschstämmige Regisseur entscheidet sich gegen den zynischen Hollywood-Thrill, den der amerikanische Film Noir in Filmen wie Frau ohne Gewissen (1944) oder Die Spur des Falken (1941) zelebriert. Lang ("Ministerium der Angst" – 1944; "Menschenjagd" – 1941; M – Eine Stadt sucht einen Mörder – 1931; Metropolis – 1927) zieht es vor, seinen Zuschauer zwei Stunden lang zu kneten und zu maltraitieren, um ihn dann entspannt nach Hause gehen zu lassen – sicher noch die Frage ventilierend: „Wie würde ich denn in vergleichbarer Situation reagieren?“

Wertung: 4 von 6 D-Mark
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