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Plakatmotiv: Falling Down – Ein ganz normaler Tag (1993)

Eine gnadenlos subjektive
Beschreibung des Alltags

Titel Falling Down – Ein ganz normaler Tag
(Falling Down)
Drehbuch Ebbe Roe Smith
Regie Joel Schumacher, Frankreich, USA, UK 1993
Darsteller

Michael Douglas, Robert Duvall, Barbara Hershey, Rachel Ticotin, Tuesday Weld, Frederic Forrest, Lois Smith, Joey Hope Singer, Ebbe Roe Smith, Michael Paul Chan, Raymond J. Barry, D.W. Moffett, Steve Park, Kimberly Scott, James Keane u.a.

Genre Drama
Filmlänge 113 Minuten
Deutschlandstart
3. Juni 1993
Inhalt

Verkehrsstau in Los Angeles. Mittagshitze. Ein Mann – weiß, Mittleschicht – sitzt in seinem Auto, die Luft wird stickiger, eine Fliege nervt. Plötzlich steigt der Mann aus, er will „nach Hause“.

Auf diesem Weg wird der Geduldsfaden dieses Mannes Millimeter um Millimeter weiter gespannt. Bis er reißt und er durchdreht. Der Alltag des unter sengender Sonne schwitzendem Moloch Los Angeles verwandelt diesen zunächst harmlosen Nobody in einen gesetzlosen Psychopathen, der sich den Weg zu seiner geliebten Tochter bahnt, die heute Geburtstag hat.

In einem Problemviertel gerät er in Streit mit Mitgliedern einer Latino-Jugendgang, die ihn kurz darauf aus einem Auto erschießen wollen, dabei jedoch einen Unfall haben. Foster nimmt deren Schusswaffensammlung mit und marschiert weiter durch die Stadt. In einem Fast-Food-Restaurant möchte er ein Frühstück bestellen. Da die Frühstückszeit aber seit wenigen Minuten vorbei ist und nun ausnahmslos die Mittagskarte gilt, zwingt er den Filialleiter mit einer Maschinenpistole dazu, ihn zu bedienen.

Gleichzeitig steht der Polizei-Sergeant Martin Prendergast unmittelbar vor seiner frühzeitigen Pensionierung – es ist sein letzter Arbeitstag. Prendergast wird heute nur noch mit einem scheinbar unbedeutenden Fall von Nötigung in einem koreanischen Lebensmittelgeschäft betraut, der ihn jedoch stutzig macht, weil der Täter den Laden zwar mit einem Baseballschläger demolierte, für eine Dose Coca-Cola jedoch den Kaufpreis zahlte. Die ursprünglich zur Selbstverteidigung des Ladeninhabers dienende Tatwaffe nahm der Täter mit. Wenig später passt die vom Ladenbesitzer abgegebene Beschreibung des Mannes auf eine in mehrere Vorfälle quer durch die Stadt verwickelte verdächtige Person. Prendergast stellt fest, dass derselbe Mann wenige Stunden zuvor sein Auto in einem Stau zurückgelassen hatte und ausgestiegen war. Er ermittelt weiter, lediglich seine Kollegin Sandra Torres hilft ihm bei der Arbeit.

Er versucht seine Arbeitskollegen davon zu überzeugen, dass es sich bei den Vorfällen um ein und denselben gefährlichen Täter handelt. Sie nehmen seine Vermutungen jedoch nicht ernst, vielmehr schickt ihn sein unmittelbarer Vorgesetzter an seinen Schreibtisch zurück.

Währenddessen ist der Mann mit dem weißen Hemd und der dunklen Krawatte von einem Neo-Nazi vor der Polizei versteckt worden, der ihn für seine Ziele einspannen willl …

Was zu sagen wäre

Ich bin ein altmodischer Mensch. Und wirtschaftlich nicht tragbar“, sagt William Foster. Und als solcher erkennt er seine Welt nicht wieder.

USA. Die Westküste. Am Straßenrand stehen verwahrlost scheinende Männer, die Pappschilder hochhalten: „Will work for Food!“ Latinos verkaufen an roten Ampeln und Bushaltestellen Erdnüsse oder Äpfel. Es ist eine Gesellschaft, in der ausgemergelte Männer auf Kinderspielplätzen Pappschilder hochhalten „Wir sterben an AIDS. Bitte helft uns!“ Und nebenan obdachlose Kriegsveteranen um Anteilnahme betteln. Und wenn Du Dich dann gewöhnt hast, kommt so ein Schwätzer daher: „Ich bin gestern aus Santa Barbara runtergekommen. Ich wollte zu einem Freund, der mir noch Geld schuldet, aber der war nicht zu Hause. Aber mit dem Geld könnte ich wieder nach Hause fahren und ich habe kaum noch Benzin im Tank und letzte Nacht musste ich im Auto schlafen; Sie können mir wohl nicht ein bisschen Kleingeld geben? Damit würden Sie mir echt weiterhelfen. Wenn Sie mir Ihre Adresse geben, schicke ich es per Post zurück! Ehrlich!!“ „Zeigen Sie mir Ihren Führerschein!“ „Wozu brauchen Sie meinen Führerschein? Verstehe ich nicht.

Nebenan steht einer vor einer Bank mit einem Protestschild, auf dem er gegen die Bank protestiert, weil diese ihn fallen gelassen habe: „Man bittet um einen Kleinkredit. Und was kriegt man zu hören? Tut uns wirklich furchtbar leid!“ … und dann wird der Mann von der Polizei abgeführt.

Ich habe immer getan, was man mir gesagt hat. Aber belohnt wird der Schönheitschirurg mit seiner Villa“, sagt Foster. Dieser Mann mit dem akkuraten Bürstenschnitt und dem Kassengestell vor den Augen ist ein Unsympath, aber gleichzeitig die Hauptfigur des Film, damit Sympathieträger. Es ist eine komplexe Figur und Michael Douglas spielt ihn verletzlich, wütend, sanft, aufbrausend, durchgeknallt. Eine großartige Rolle für Douglas, der sich gerne mit schwierigen Figuren auseinandersetzt (Basic Instinct – 1992; Der Rosenkrieg – 1989; Black Rain – 1989; Wall Street – 1987; Eine verhängnisvolle Affäre – 1987; Auf der Jagd nach dem Juwel vom Nil – 1985; Auf der Jagd nach dem grünen Diamanten – 1984; Ein Richter sieht rot – 1983; Das China-Syndrom – 1979; Coma – 1978).

Wir lernen diesen Mann im Auto kennen. Im Stau. Es ist heiß, die Klimaanlage geht nicht, das Fenster lässt sich nicht runterkurbeln. Das zeigt uns nach und nach die Kamera in einer langen Fahrt, die Close am verkniffenen Mund Bills beginnt und dann einmal rund um sein Auto in die anderen Autos blickt und lauter Minigeschichten erzählt und nebenbei deutlich macht, wie sich alle Welt mit dauernden Verspätungen, Verstopfungen, Behinderungen arrangiert hat und als Gott-gegeben hinnimmt. Bill nun nicht mehr. Er hat keine Lust mehr. Da wissen wir schon, wir sind auf Bills Seite, weil wir alle gerne manchmal aus diesem Auto aussteigen und „nach Hause“ gehen wollten. Und es erwartet uns eine gute Kameraarbeit (Andrzej Bartkowiak) unter einfühlsamer Regie – Joel Schumacher (Flatliners – 1991; The Lost Boys – 1987; St. Elmo's Fire – 1985).

Der Wahnsinn sickert langsam in die Geschichte. Im Kinosessel schwanken wir dauern zwischen Ablehnung und stiller Bejahung. Wenn er einen Laden zu Klump schlägt, weil ihm die Preise zu hoch sind, lehnen wir ihn ab, wenn er zwei Latinos, die ihn bedrohen, mit einem Baseballschläger in die Flucht prügelt, können wir das verstehen. Als er einen reichen Golfspieler, der ihn von seinem Golf-Green fluchen wollte und deshalb einen Herzinfarkt bekam, grinsend verrecken lässt, lehnen wir das ab. Als er einen Nazi erschießt, ist das irgendwie okay. Rassistische Elemente verknoten sich mit alltäglichen Vorurteilen, die Zustände sind fatal. Das Script von Ebbe Roe Smith wertet nicht, ordnet nicht ein. Der Zuschauer wird für mündig genug erachtet, sich selbst ein Bild zu machen.

Schumacher wechselt die Erzählperspektive nur subjektiv, wird nie objektiv. Die Story pendelt zwischen den beiden Polen Bill Foster und Cop Prendergast, der sein eigenes Päckchen zu tragen hat und gewohnt dicht und einfühlsam von Robert Duvall verkörpert wird (Tage des Donners – 1990; Der Unbeugsame – 1984; Apocalypse Now – 1979; Der Adler ist gelandet – 1976; Network – 1976; Der Pate 2 – 1974; Sinola – 1972; Der Pate – 1972; THX 1138 – 1971; M.A.S.H. – 1970; Bullitt – 1968). Ergreifend. Melancholisch. Prendergast ist der desillusionierte, alte Cop, der auch nach Hause will, wo eine zänkische Ehefrau auf ihn wartet – „Sie war Schönheitskönigin. Nichts weiter. Was kann sie machen, wenn sie verliert, was sie ausgezeichnet hat?“ Jetzt erlebt er seinen letzten Tag, setzt aus lauter kleinen Puzzleteilchen, die er im Büro hört, das Drama eines marodierenden Mannes „mit weißem Hemd und Krawatte“ zusammen und erlebt, wie seine jungen Kollegen von seinem Instinkt nichts mehr wissen wollen, nichts besser können und den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen. Auch seine Welt ist das nicht mehr.

Joel Schumachers Film verstört, weil wir uns im Kinosessel dabei erwischen, wie moralisch fragwürdig auch wir bisweilen zu handeln bereit wären, weil uns gewisse Zustände, blöde Typen, abgehobene Villenbesitzer mal auf den Sack gehen. Wir tun dann nichts. Foster tut es! Auch, als er sich aufregt, dass er in einem Burgerladen um 11.33 Uhr kein Frühstück mehr bekommt, weil es das nur bis 11.30 Uhr gibt und weil der plattgedrückte, schwabbelige Burger, den er dann aus der Pappschachtel holt, so gar nichts mit dem Foto über der Theke gemein hat, auf dem er dick und saftig aussieht – auch an diese Alltagslügen haben wir Zuschauer uns gewöhnt. Foster nicht. Er ist es leid.

Kunst soll verstören, den Blick weiten, die Perspektive verschieben. Schumachers Film ist ein Kunstwerk.

Wertung: 10 von 10 D-Mark
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