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Plakatmotiv: 3 Tage in Quiberon (2018)
Romy Schneider verzaubert schon wieder.
Marie Bäumer spielt unauffällig oscarreif.
Titel 3 Tage in Quiberon
Drehbuch Emily Atef
Regie Emily Atef, Deutschland, Österreich, Frankreich 2018
Darsteller Marie Bäumer, Birgit Minichmayr, Charly Hübner, Robert Gwisdek, Denis Lavant, Christopher Buchholz, Vicky Krieps, Vincent Furic, Yann Grouhel, Kalle Schmitz u.a.
Genre Biografie, Drama
Filmlänge 116 Minuten
Deutschlandstart
12. April 2018
Inhalt

Quiberon (Bretagne), im Jahr 1981: Die Schauspielerin Romy Schneider befindet sich zur Entgiftung in einem Kurhotel am Meer. Sie lässt ihre Jugendfreundin Hilde nachkommen, die in Wien als Restauratorin arbeitet. Romy vertraut ihr an, die „Diät“ für ihren 14-jährigen Sohn David zu machen, der lieber bei den Stiefeltern leben möchte. Sie leidet deshalb unter großen Verlustängsten.

Am Abend hat sich ein Reporter des deutschen Magazins „Stern“ angekündigt. Trotz ihrer negativen Erfahrungen mit der deutschen Presse hat sie einem Interview mit Michael Jürgs und dem Fotografen Robert „Bob“ Lebeck zugestimmt. Romy hat ein enges, freundschaftliches Verhältnis zu Lebeck, den sie zärtlich „le beau“ nennt, während der Fotograf sie liebevoll als „la belle“ tituliert. Jürgs kennt sie dagegen noch nicht.

Das Interview, das in Romys Hotelzimmer beginnt, soll den Unterschied zwischen der Schauspielerin und Privatperson aufzeigen. Es soll geplant nur ein paar Stunden in Anspruch nehmen, sich am Ende aber über drei Tage verteilen. Der manipulative Jürgs fragt im Beisein von Hilde u. a. nach Romys Verhältnis zur Mutter, ihre Übersiedlung nach Frankreich und den Selbstmord Harry Meyens, Lebeck macht währenddessen die Bilder. Bei der Frage nach ihrem ersten Ehemann muss Romy das Interview abbrechen.

Am Abend trinken die vier gemeinsam in einem Restaurant am Hafen entgegen dem Rat von Romys Kurarzt Champagner. Romy gibt Pläne über einen neuen Film, „Die Spaziergängerin von Sans-Souci“, bekannt. Sie amüsiert sich mit einem zufällig vorbeikommenden Fischer-Poeten. Jürgs schlägt Romy vor, mit dem Interview „Dinge zurechtzurücken“. Auf Drängen Hildes, die den beiden Journalisten nicht vertraut, verlässt die stark alkoholisierte Romy mit ihr das Restaurant. Romy hat ihre Entgiftung nicht mal vier Tage ausgehalten. Hilde nimmt ihr das Versprechen ab, künftig weder Schlaftabletten noch Alkohol zu sich zu nehmen.

Romy lässt sich am nächsten Tag auf einen Spaziergang mit Lebeck ein. Das Interview wird von Jürgs fortgeführt, der Champagner bestellt und sie u. a. zu ihrem verlorenen Vermögen und abwesenden Vater befragt. Romy gesteht, pleite zu sein und nie gelernt zu haben, mit Geld umzugehen. Sie hofft, nach ihrem nächsten Film eine Pause einlegen zu können. Hilde versucht soweit es geht ihre Freundin zu beschützen, da sie sowohl Jürgs als auch Lebeck als manipulierend empfindet.

Romy ist nicht in Stimmung für Warnungen. sie will es rauslassen, abrechnen. Der Tag bricht in Unfrieden zusammen, Hilde will abreisen, Romy nimmt Tabletten, Jürgs fragt sich, ob er aus den Fragmenten seines Interviews etwas machen kann. In der folgenden Nacht klären sich Fronten. Am nächsten Morgen ist Romy verschwunden …

Was zu sagen wäre

Die Frau ist fertig. Romy Schneider, die große Actrice in rund 50 Filmen hat den Kampf gegen die Öffentlichkeit, den Kampf um ihr Ansehen aufgegeben. Als wir sie kennenlernen, schläft sie mitten am Tag auf ihrem Zimmer im Kurhotel. Wir lernen sie kennnen, als Hilde im Hotel eincheckt, die Jugendfreundin, von der nicht ganz klar wird, warum sie hier ist. Hat Romy Schneider ihre „Sandkastenfereundin“ kommen lassen? Ist Hilde spontan mal so angereist? Das bleibt offen und gibt dieser Figur der Sandkastenfreundin gleich ein Geheimnis, eine Tiefe.

Emily Atefs außergewöhnliche Biografie ist keine Und dann und dann und dann-Dramaturgie. Wir erfahren wenig über den Werdegang, die Entwicklung, das Schicksal der berühmten Schauspielerin. Der Film konzentriert sich auf drei Tage im Leben einer Frau und Schauspielerin, die ihre große Zeit – jene im schmeichelnden Licht öffentlicher Liebe – hinter sich hat; die Deutschen mögen sie nicht mehr, seit sie damals der Königin Sissi den Laufpass gab, jener Heiligenfigur, die die deutschen Wiederaufbau-Kinogänger so bedingungslos ins Herz geschlossen hatten. Die Franzosen hingegen verehren sie wie eine Diva, eine Göttin; hier ist sie ein großer Star. Nur Mutter ist sie nirgends. Als Mutter will sie niemand, nicht einmal David, ihr 14-jähriger Sohn, der lieber mit dem Stiefvater auf dem Motorrad die Route 66 entlangfährt, als am nächsten Filmset auf Maman zu warten.

In drei erzählten Tagen lässt sich naturgemäß kein großes Entwicklungsdrama erzählen – was verändern schon drei Tage, wenn nicht gerade das World Trade Center zusammenfällt? Hier sind es drei Tage in einem Sanatorium. Drei Tage mit einem Haifisch von der Presse. Drei Tage mit einem Weltstar in der Lebenskrise. Drei Tage mit zwei Best Buddies. Es ist kein Film der äußeren Erzählung über jene drei – historisch verbürgten – Tage. Es ist ein Film der Charaktere. Die Schauspieler sind hier wichtig. Sie sollen das Drama erzählen.

Da ist also Hilde, von Birgit Minichmayr als patente, loyale und taffe beste – allerdings für den Film erfundene – Freundin angelegt, die ihrer Weltstarfreundin Romy zur Not auch die Brocken vor die Füße schmeißt. Warum sie da ist, wie gesagt, bleibt vage, ist aber nebensächlich. Sie ist am Ende des Films wie am Anfang. Ebenso wie Bob Lebeck, der Fotograf und gute Freund, der mit der ewig schönen Romy nackt im Bett die Nacht verbringt und nur kuschelt. Albernheiten wie Sex haben die beiden nicht nötig. Auch Bob Lebeck, dem Charlie Hübner sanftwuchtige Statur, unbedingt verlässlich, gibt, verändert sich im Laufe des Films nicht. Er und Hilde sind die Leitplanken im dreitägigen Leben der Romy Schneider, das der Journalist und Kotzbrocken durcheinanderzuwirbeln versucht.

Der Journalist, ebenso wie Romy, wird sich in den 3 Tagen in Quiberon verändern. Es mag für die Drehbuchatorin Emily Atef ein Glücksfall sein, dass Bob, der Fotograf und vor allem Freund, mit in Quiberon war, als der Mann vom Stern Romy Schneider grillen wollte; wäre er nicht dort gewesen, für den Film hätte man ihn erfinden müssen, so wie Sandkastenfreundin Hilde erfunden ist. Es sind Funktionsfiguren. Ohne sie würden wir Zuschauer Schneider nicht verstehen; wem sollte sie von ihren Sehnsüchten erzählen, ihren Verlustängsten, wenn der Reporter doch nur auf eine Story aus ist?

Atef lässt ihre Zuschauer mit historischer Einordnung ziemlich allein. Dass die Geschichte 1981 spielt, erfahre ich entweder nach dem Abspann, der mit einem Foto endet, das – „Copyright Bob Lebeck“ – Romy Schneider beim Sprung über die Felsen zeigt und auf 1981 datiert ist. Oder ich habe es vorher irgendwo in einer Zeitung gelesen – der ein oder andere mag sich vielleicht sogar noch an die Stern-Ausgabe mt jenem Interview aus Quiberon erinnern. Neben der nicht vorhandenen Einblendung zu Beginn – „Quiberon, Bretagne: 1981“ – fehlen am Ende die Texttafeln, die in Biopics die Geschichte dann gerne noch ganz zu Ende erzählen. Wer also nicht weiß, dass Schneider wenige Monate nach diesen 3 Tagen ihren Sohn David verlor, als der beim Versuch, über einen Zaun zu klettern, das Gleichgewicht verlor und im Fallen von einer Metallspitze des Zauns aufgespießt wurde; wer nicht weiß, dass sie zwar noch die im Film erwähnte „Spaziergängerin von Sans-Souci“ spielte, aber gut ein Jahr nach Quiberon, am 28. Mai 1982, an (offiziell) Herzversagen starb … – hat nichts versäumt.

Atefs Film zeichnet das Portrait einer gejagten, waidwunden Frau, die am öffentlichen Anspruch zerbrochen ist. Im ersten Anlauf zum Interview reitet der Stern-Reporter immer noch auf Romys Sissi-Vergangenheit herum – den dritten und letzten Teil der Königinnen-Serie drehte sie 1957, also 24 Jahre vor den 3 Tagen, was den ganzen Irrsinn der – vor allem – deutschen Vereinnahmung der Romy Schneider deutlich macht; und als Schneider diese Frage noch einigermaßen kontrolliert abwehrt, sagt der Mann vom Stern, ihre, Romys, Mutter habe ja „ein Verhältnis mit Hitler“ gehabt.

Der Stern-Reporter wird eine große Entwicklung durchmachen in diesem Film, ebenso wie Romy Schneider, die im Schlussbild als optimistische, neugierig der Welt zugewandte Frau in die Kamera Bob Lebecks blicken wird. Da begründet sich der Zauber dieses Films, der es gar nicht nötig hat, sich mit Jahreszahlen und Texteinblendungen historisch einzuordnen. Der Zuschauer erfährt, gestützt von Hilde und Bob, die das Portrait wie Leitplanken in der Spur halten, viel über Romy Schneider, die Schauspielerin, Frau und Mutter, die so viel mehr war als „Sissi“. Er schaut einem arroganten Scheißdreck-Boulevard-Journalisten dabei zu, wie er sich der enormen Ausstrahlung einer Frau unterwirft, die ihr Innerstes nach außen kehrt, der er am Ende – damals ganz unüblich – das fertige Interview zur Freigabe vorlegt. An dieser Stelle erzählt der Film auch eine Menge über das damalige Verhältnis zwischen Presse und Weltstar.

Heute würde es keinem Journalisten mehr gelingen, einer weltberühmten Schauspielerin in der Reha bei diversen Abstürzen zuzusehen; was auch ein bisschen schade ist. Fotograf Robert Lebeck hat in diesen 3 Tagen in Quiberon Fotos gemacht, die die Seele seiner guten Freundin Romy Schneider zeigen, ihr Inneres zum Leuchten bringen; Fotos, die mehr sagen als fünf Homestories. Mehr, als Fotos von irgendeinem Red-Carpet-Event. Von einer Julia Roberts – im Sissi-Süßigkeitsfaktor ihrer Anfangsjahre durchaus mit Schneider vergleichbar – werden wir solche Fotos sicher nicht mehr sehen. Die Kämpfe, die Roberts mit sich, ihrem Image, ihrer Psyche und der Presse durchgefochten hat, waren ähnlich jener Romy Schneiders. Die Fotos aus der Zeit Julia Roberts' Krise aber sind nur verwischte Paparazzi-Aufnahmen vor dem Supermarkt, keine Seelenportraits im Hotelzimmer.

Womit wir endlich bei der Schauspielerin sind, die die Schauspielerin spielt. Während seines Interviews sagt der – von Romy Schneiders Seelen-Striptease sichtbar überraschte – Reporter mal „Im Moment sind Sie down. Aber das geht vorüber", und Schneider bricht in schallendes Gelächter aus, kugelt über den Boden und strahlt, zum ersten Mal in diesem Film. In diesem Moment wird dem Zuschauer im Jahr 2018 der Zauber klar, den diese Frau, Romy Schneider, auf der Leinwand entfachen konnte. Vom ersten Moment an ist es nicht ein Film, in dem Marie Bäumer Romy Schneider spielt, die in der Krise steckt. Es ist vom ersten Moment an ein Film, in dem Romy Schneider in der Krise steckt.

Dass Bäumer ein wenig so aussieht wie Schneider, ist nicht ausschlaggebend. Emily Atef und Marie Bäumer haben nur ein vielschichtiges, interessantes Frauenportrait gedreht, das sich zwar an historischen Figuren orientiert, aber nicht von jenen abhängig ist. Es mag das Schicksal Marie Bäumers werden, dass sie sich hier in den europäischen Schauspielerinnen-Olymp spielt und es aber keiner merkt, weil alle nur über Romy und ihr tragisches Schicksal reden. Marie Bäumer spielt oscarreif. Das Drehbuch konzentriert sich auf drei Tage im Leben einer Frau, die mit 43 Jahren starb, und erfasst den ganzen Charakter. Es ist, als schaue man einer zufällig stattfindenen Begebenheit zu; man könnte vergessen, dass es ein Film ist. Könnte.

Eine Zeit lang wirkt es ganz schick, dass die Kamera – die ganze Zeit auf der Schulter getragen – immer wackelt und dadurch so einen Newsfeed-Touch bekommt – der durch die Schwarz-Weiß-Fotografie noch verstärkt wird. Aber bald kollidiert diese realistisch anmutende Inszenierung mit der realistisch anmutenden Erzählung: Es ist halt kein Dokumentarfilm, in dem die Journalistin nimmt, was sie visuell halt kriegt; es ist ein Spielfilm. Eigentlich will Emily Atef ein Drama erzählen, ein spezifisches Frauenschicksal. Wenig äußere Aktion. Dem hätte eine bescheidenere Kamera, eine die sich nicht durch dauernd zitterndes Bild in den Vordergrund spielt, besser getan.

Übrigens: Romy Schneider gab Jürgs' Interview-Fassung damals, abgesehen von kleinen Streichungen, mit der Unterschrift zum Druck frei: „Ich werde weiterleben, und richtig gut!

Wertung: 6 von 8 €uro
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