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Plakatmotiv: Crimson Tide – In tiefster Gefahr (1995)

Ein großer U-Boot-Thriller mit
einem großen Gene Hackman

Titel Crimson Tide – In tiefster Gefahr
(Crimson Tide)
Drehbuch Michael Schiffer & Richard P. Henrick
Regie Tony Scott, USA 1995
Darsteller

Denzel Washington, Gene Hackman, Matt Craven, George Dzundza, Viggo Mortensen, James Gandolfini, Rocky Carroll, Jaime Gomez, Michael Milhoan, Scott Burkholder, Danny Nucci, Lillo Brancato, Eric Bruskotter, Ricky Schroder, Steve Zahn u.a.

Genre Drama
Filmlänge 116 Minuten
Deutschlandstart
13. Juli 1995
Inhalt

Russische Rebellen haben eine militärisch entscheidende ICBM-Basis in der ehemaligen Sowjetunion unter ihre Kontrolle gebracht. Washington ist alarmiert. Weil das Pentagon einen Atomschlag der Rebellen gegen den Westen fürchtet, schickt man die U.S.S. Alabama, ein U-Boot mit Atomraketen an Bord. Auftrag: beobachten und die Rebellen ggf. nachhaltig in die Schranken weisen.

Während der Patroullienfahrt wird die Alabama angegriffen, das Funksystem fällt aus. Dadurch wird eine im selben Moment eingehende Alarmmeldung nicht vollständig übermittelt. Captain Frank Ramsey, ein bärbeißiger Kommandant von altem Schrot und Korn, ist überzeugt, dass die Alarmmeldung nichts anderes bedeutet, als dass die Atomraketen scharf gemacht und abgefeuert werden sollen. Sein erster Offizier, Lt. Commander Ron Hunter, ist sich da nicht so sicher.

Der junge Offizier mit akademischer Ausbildung will – bevor er in den Dritten Weltkrieg rauscht – eine Bestätigung für den Befehl für den atomaren Erstschlag abwarten.

Während die Crew fieberhaft daran arbeitet, das Funksystem wieder Instand zu setzen, bricht unter dem Meer ein Revolte gegen Captain Ramsey aus …

Was zu sagen wäre

Erster Abend unter dem Meeresspiegel. Die Offiziersmesse. Die Männer beschnuppern sich. Der Käptn, ein altes, ebenso gefürchtetes wie verehrtes Schlachtross rühmt sich seiner einfachen Struktur. Von ihm erwarte Washington nur, dass er wisse, wie man und wann man „den Knopf“ drücke, sagt er grinsend und piesakt seinem neuen Ersten Offizier, der in Harvard studiert hat – während er selbst nur auf der Marineakademie gelernt hat. Er zitiert von Clausewitz, wonach der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sei und will von seinem First wissen, was er davon hält. Er lächelt. Der First sagt: „Nach meiner bescheidenen Meinung ist im Nuklearzeitalter der wahre Feind des Krieges der Krieg selbst.“ Schnitt auf den Käptn. Er lächelt nicht mehr, zieht an seiner Zigarre und … macht sich Gedanken. Schnitt, neue Szene.

Ein Dialogfilm als Materialschlacht

Tony Scotts Film wird von den Produzenten Bruckheimer und Simpson natürlich als Materialschlacht verkauft, als das große Action-Donnerwerk. Aber Tony Scott ist ein zu guter Regisseur, um nicht die ihm wichtigen Zwischentöne auch noch im größten Kanonendonner hörbar zu machen. Eigentlich wissen wir seit Wolfgang Petersens Das Boot, dass das Lauteste an Bord eines U-Bootes die Außengeräusche und die pochenden Herzen der Matrosen sind. Bei Tony Scott wird aus dem U-Boot-Krieg bisweilen ein Dialogfilm. Und was das für Dialoge sind. Sehr flüssige, sehr menschliche, fleischlich empfindsame Dialoge – ob Hunter an die Superhelden-Moral der Männer und Frauen an Bord des Raumschiffes Enterprise gemahnt, die stets kurz vor der letzten Sekunde alles möglich gemacht haben, oder ob es ein einfacher Dialog über Pferde – Araber oder Lippizaner und deren treues Gehorsams-Gen – ist; die Autoren Michael Schiffer und Richard P. Henrick haben bemerkenswerte Miniaturen geschaffen.

Aber natürlich ist Tony Scott (s.u.) kein Auteur. Der Mann, der Top Gun (1986) inszeniert hat, kennt die Regeln des Big Business. Also gibt es Alarm-Übungen, bei denen die Kamera zwischen laufenden Matrosen über enge Gänge fliegt, Szenen, in denen Denzel Washington der körperlichen Ertüchtigung (und der filmischen Bewegung) wegen, Seilspringen, Jogging und Boxing an Bord betreibt; und der vermeintliche Angriff eines Russen-U-Bootes zieht die Schraube nochmal an – gibt aber auch die Möglichkeit, die unterschiedlichen Charaktere der beiden Protagonisten zu studieren, hier der bärbeißige Käptn, da der studierte Kriegsphilosoph. Und der dramatische Soundtrack von Hans Zimmer ist stets präsent.

Der Feind vor Augen – Der Feind weit entfernt

Die plakativste Szene hat der Film auf seinem Höhepunkt, wenn Lt. Commander Ron Hunter sich auf die Vorschriften zurückzieht und schließlich das Kommando über die U.S.S. Alabama übernimmt. Das ist eine Entscheidung, die ihm – das insinuieren die Bilder, das Schauspiel, die Montage, die Musik, der bisherige Film – sehr schwer fällt dort unter Wasser gegen seinen direkten Vorgesetzten vor der Mannschaft. Da herrscht ihn der abgesetzte Ramsey, der Atomrakten gegen anonyme Feinde abfeuern will, die er unter Wasser in tausend Kilometer Entfernung nicht sehen kann, an, Hunter sei noch nicht reif, schwierige Entscheidungen zu treffen.

Die Meuterei auf der Alabama. Jung gegen Alt. System gegen Individuum. Schöne Uniformen. Markige Männer. Befehl und Gehorsam. Dass dieser Film nicht an seinem patriotischen Geklingel erstickt, ist Gene Hackman zu verdanken, der tapfer seine Rolle als Schurke in dem Stück durchspielt, ohne jemals seine Grandezza einzubüßen (Wyatt Earp – 1994; Die Firma – 1993; Erbarmungslos – 1992; Das Gesetz der Macht – 1991; Narrow Margin – 1990; Mississippi Burning – 1988; No Way Out – 1987; Die verwegenen Sieben – 1983; Under Fire – 1983; Eureka – 1983; Superman – 1978; French Connection II – 1975; Frankenstein Junior – 1974; "Der Dialog" – 1974; Die Höllenfahrt der Poseidon – 1972; Die Professionals – 1972; French Connection – 1971; Leise weht der Wind des Todes – 1971; Bonnie und Clyde – 1967). Hackman ist großartig, spielt seine ganze Erfahrung aus, ist arrogant, fürsorglich, wütend – und jederzeit furchteinflösend, als Matrose möchte ich ihn nicht gegen mich haben. Denzel Washington (Teufel in Blau – 1995; Die Akte – 1993; Philadelphia – 1993; Viel Lärm um nichts – 1993; "Malcolm X" – 1992; Ricochet – Der Aufprall – 1991) spielt solide den etwas langweiligen, zu guten Vize.

Befehl gegen Gehorsam, Krieg gegen Frieden

Tony Scott hält als Regisseur alle Fäden souverän in der Hand, verlässt sich nicht auf seine Flaggen-im-Wind- und Küsse-im-Regen-Bilder, sondern orientiert sich an der Spannung. Statt der erwartbaren Materialschlacht umfährt Scott, der später Erfolge hatte mit Filmen wie Staatsfeind Nr. 1 (1998) oder Spy Game (2001), mit seinen Protagonisten sehr elegant die verführerische Gut-Böse-Masche.

Was „Crimson Tide“ so besonders macht ist, dass er Schwarz und Weiß nicht klar einordnet und dem Zuschauer die Möglichkeit bietet, sich nach Ende des Films weiter mit dessen Sujet zu befassen. Das ist bei Filmen dieser Gehaltsklasse nicht üblich und bei U-Bootfilmen schon gar nicht. Diese in vielerlei Hinsicht sehr speziellen Fortbewegungsmittel hat Hollywood schon ganz spannungsfrei in Katastrophenfilm-Variationen wie U-Boot in Not (1978) versenkt oder in rasante Kalter-Krieg-Action wie Jagd auf Roter Oktober (1990) verheizt.

"Crimson Tide" holt sich Anregungen bei Irwin Winklers Weltuntergangsfilm Unternehmen Feuergürtel (1961) und erzählt eine Story aus dem Befehl-und-Gehorsam-Milieu, über Loyalität gegen falsch verstandene Militärregeln, die uns sagt, dass wir den Verstand gebrauchen sollen, egal wie verfahren oder kompliziert oder undurchsichtig die aktuelle Situation ist. Erst denken. Dann feuern – oder auch nicht. „Crimson Tide“ ist ein komplexer Hollywood-Film.

Wertung: 9 von 10 D-Mark
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