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Plakatmotiv: Perfect World (1993)

Schuld, Sühne und ein
ausuferndes Finale

Titel Perfect World
(Perfect World)
Drehbuch John Lee Hancock
Regie Clint Eastwood, USA 1993
Darsteller

Kevin Costner, Clint Eastwood, Laura Dern, T.J. Lowther, Keith Szarabajka, Leo Burmester, Paul Hewitt, Bradley Whitford, Ray McKinnon, Jennifer Griffin, Leslie Flowers, Belinda Flowers, Darryl Cox, Jay Whiteaker, Taylor Suzanna McBride u.a.

Genre Drama, Crime
Filmlänge 138 Minuten
Deutschlandstart
6. Januar 1994
Inhalt

Die beiden Kriminellen Butch Haynes und Terry Pugh entkommen aus dem Gefängnis in Huntsville. Bei ihrer Flucht durch Texas nehmen sie den achtjährigen Phillip als Geisel. Als sich Pugh an dem Jungen vergehen will, erschießt ihn Haynes und setzt seine Flucht mit Phillip allein fort. Im gouverneurseigenen Airstream Overlander nimmt der Texas Ranger Red Garnett daraufhin die Verfolgung auf und wird dabei gegen seinen Willen, aber auf ausdrücklichen Wunsch des Gouverneurs von der FBI-Kriminologin Sally Gerber sowie dem hitzköpfigen FBI-Mann Bobby Lee begleitet.

Zwischen Phillip und seinem Entführer entwickelt sich mit der Zeit so etwas wie Freundschaft. Bei Butch darf Phillip, dessen Mutter Angehörige der Zeugen Jehovas ist, viele Dinge tun, die ihm seine Religion eigentlich verbietet, beispielsweise sich zu Halloween zu verkleiden. Immer mehr sieht Phillip in Butch einen Vater, da der Vater des Jungen seine Mutter schon lange verlassen hat – das hat er mit Butch gemeinsam, dessen Vater ihn prügelte und dann irgendwann verschwand.

Als sie wieder mal im Auto übernachten, abseits der Straße in einem Maisfeld, nimmt sie ein Farmarbeiter für die Nacht bei sich auf. Die anfangs so idyllische afroamerikanische Familie – Mutter, Vater, Sohn – entpuppt sich bald als Grenzfall: Mehrfach schlägt der Vater seinen Sohn, schikaniert ihn und schubst auch seine Frau herum. Butch erträgt das irgendwann nicht mehr und dreht durch, fesselt schließlich die Familie und droht den Vater zu erschießen. In einem unachtsamen Moment nimmt Phillip sich den Revolver von Butch und zielt auf ihn …

Was zu sagen wäre

Wie sieht die perfekte Welt aus? Im ersten Bild liegt Kevin Costner im Gras. Geld regnet vom Himmel, eine Casper-der-freundiche-Geist-Maske liegt neben ihm und das wirkt schon irgendwie wie der perfekte Moment. Bis der Hubschrauber ins Bild kommt, der dicht über ihm schwebt. Für den kleinen Phillip wäre die Welt schon perfekt, wenn nur sein Vater nach Jahren endlich heimkäme. Dann wäre es sicher leichter zu verkraften, dass er Halloween nicht Süßes oder Saures machen darf, weil Mama sagt, das gehöre nicht zur Religion der Zeugen Jehovas. Für den Jungen brechen aufregende Zeiten an, als Mr. Haynes ihn mitnimmt. Endlich darf er alles, was vorher verboten war. Und Mr. Haynes ist auch noch ein echt toller Adoptivvater. Für den, „Butch“ Haynes, liegt die perfekte Welt in Alaska. Da träumt er sich hin. Deswegen klaut er immer neue Autos, um da hin zu kommen.

Chief Red Garnett dachte zu einem Zeitpunkt in Butchs damals noch jungem Leben, es sei das beste, den Jungen wegen eines harmlosen Autodiebstahls vier Jahre in ein Gefängnis zu stecken, anstatt ihn zu seinem prügelnden, saufenden und hurenden Vater zurückzuschicken. Einige der Jungs da im Knast hätten es schließlich geschafft, einer sei sogar Priester geworden. Butch nicht, der geriet in dieser aus Sheriff-Sicht perfekten Welt endgültig auf die schiefe Bahn. Garnett hat den Glauben an sowas wie die perfekte Welt schon vor langer Zeit verloren.

Clint Eastwoods Road Movie ist in seiner Filmografie ganz außergewöhnlich und am Ende dieses Clint-Eastwood-Films hat das Gesetz – wenig überraschend – gesiegt, die Gerechtigkeit aber verloren und ist die Welt nicht mehr perfekt. Ursprünglich wollte Steven Spielberg diesen Film drehen und es ist natürlich müßig, darüber zu spekulieren, ob der das ausufernde Finale besser in den Griff, die Vater-Sohn-Schuld-und-Sühne-Geschichte kompakter hinbekommen hätte; mit Kindern und Emotionen auf Leinwandformat kennt er sich ja aus.

Vielleicht hat Spielberg aber auch verstanden, dass die Geschichte sich nicht verfilmen lässt, ohne in Kitsch abzudriften. Clint Eastwood und Kitsch – das sind zwei Begriffe, die man eher nicht zusamen denkt – das Finale entgleitet ihm zu einem überdehnten emotionalen Showdown, der noch lange nicht abgeschlossen ist, wenn längst alles gesagt und gezeigt ist. Kitsch? Vielleicht trifft eher der Begriff Zäh. Es ist seine erste Regiearbeit nach seinem düsteren Welterfolg Erbarmungslos aus dem vergangenen und Wolfgang Petersens Thriller In the Line of Fire, in dem er die Hauptrolle spielte, und vielleicht hat er ein wenig die Sichtweise des deutschen Filmemachers schätzen gelernt und wollte gleichzeitig seinem zynischen Western etwas entgegensetzen – und sei es nur, dass hier nahezu ununterbrochen die Sonne scheint und die Szenerien weit und offen statt klein und eng sind. Auf jeden Fall ist dies der europäischste Film, den Eastwood bisher gedreht hat. Er hat kaum Aktion – nicht das amerikanische Action ist gemeint, sondern die äußere Handlung. Diese Aktion findet in Form einer Reise und deren Verfolgung statt. Eine Reise, bei der die Schauplätze nicht entscheidend sind, sondern das, was die Protagonisten, diese Vater-und-Sohn-Gruppe dort erleben. Die eigentliche Aktion findet in den Gesichtern statt.

Unklar bleibt, welche Geschichte uns dieser Film über seinen Abspann hinaus eigentlich erzählen will. Diese Perfekte Welt ist von Stereotypen bevölkert, was in schlechten Filmen ebenso der Fall sein kann, wie in solchen, in denen uns die Anordnung der Stereotypen in einer begrenzten Welt eine tiefere Botschaft mitteilen möchte – Kevin Costner (Bodyguard – 1992; JFK – Tatort Dallas – 1991; Robin Hood – König der Diebe – 1991; Der mit dem Wolf tanzt – 1990; Feld der Träume – 1989; No Way Out – 1987; Die Unbestechlichen – 1987; Die Sieger – American Flyers – 1985; Silverado – 1985) ist der entflohene Straftäter (um den das Marketing im Vorfeld großes Gewese gemacht hatte, weil Charming Superstar Costner noch nie einen Killer gespielt hatte) mit dem Goldenen Herz und Drehbuchsätzen wie „Ich lege Euch alle um, wenn Du nicht aufpasst“, T.J. Lowther gibt einen wirklich sehr anständig erzogenen Jungen, der sich in einer brutalen Welt behaupten muss, Clint Eastwood ist der alternde Texas Ranger mit scharfem Blick und der Moral am rechten Fleck, Laura Dern (Jurassic Park – 1993; "Die Lust der schönen Rose" – 1991; "Wild at Heart" – 1990; "Die Maske" – 1985) ist die junge, ebenso attraktive wie professionelle Profilerin, die dem knurrigen Ranger Contra gibt. Dazu kommt ein hitzköpfiger, sexuell übergriffiger Scharfschütze und unschuldige Familien, in denen die Väter jeweils einen Tick haben, der eine mit seinem neuen Auto, der andere im Umgang mit seinem Sohn.

Aber mehr ist dann eben nicht. Alle Personen verhalten sich ihrer Anlage gemäß und daher wenig überraschend und als einzige Beobachtung über das Offensichtliche hinaus bleibt, dass Butch Haynes, der im Alter von 8 Jahren einen Mann erschossen hat, der seine Mutter bedrohte, nun von einem 8-jährigen Jungen angeschossen wird, weil Butch eine Familie bedoht – Schuld und Sühne. Damit ist auch das Ende des Films vorhersehbar, was dessen Länge nochmal länger erscheinen lässt.

"A Perfect World" ist kein großer Film geworden, aber in Eastwoods bisherigem Regiewerk (s.u.) einer der interessanteren.

Wertung: 5 von 10 D-Mark
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