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Plakatmotiv: Flags of our Fathers (2006)
Clint Eastwood dekonstruiert die
Mythen alternativloser Kriegsrhetorik
Titel Flags of our Fathers
(Flags of our Fathers)
Drehbuch William Broyles Jr. + Paul Haggis
nach dem Buch „Flags of Our Fathers: Heroes of Iwo Jima“ von James Bradley und Ron Powers
Regie Clint Eastwood, USA 2006
Darsteller Ryan Phillippe, Jesse Bradford, Adam Beach, John Benjamin Hickey, John Slattery, Barry Pepper, Jamie Bell, Paul Walker, Robert Patrick, Neal McDonough, Melanie Lynskey, Tom McCarthy, Chris Bauer, Judith Ivey, Myra Turley, Joseph Cross, Benjamin Walker u.a.
Genre Krieg, Drama
Filmlänge 135 Minuten
Deutschlandstart
18. Januar 2007
Inhalt

Im Februar 1945 landen zwei Divisionen des 5. Amphibischen US-Corps auf der japanischen Insel Iwo Jima. Sie wollen die strategisch wertvoll gelegene Insel von den Japanern erobern.

100.000 US-Soldaten stehen 20.000 Japanern gegenüber. Zu sehen bekommen sie selten einen, denn die Japaner bekämpfen ihren Feind aus unterirdischen Geschützanlagen. Eine blutige Schlacht beginnt, in der nahezu alle Japaner sterben. Auf amerikanischer Seite lassen 7.000 US-Soldaten ihr Leben, über 17.000 werden verwundet.

Inmitten der Kriegswirren hissen sechs Soldaten die amerikanische Flagge auf dem eroberten Berg Suribachi. Ein Kriegsfotograph hält das Ereignis fest und gewinnt damit den Pulitzer-Preis. Das Bild geht um die Welt als Beweis für die Unerbittlichkeit des Sieges-Willens und als Zeichen waren Heldentums. Drei der sechs Soldaten fallen.

Die Überlebenden werden in die Heimat zurück geholt. Sie sollen der längst kriegsmüden US-Bevölkerung mit ihrer Geschichte über die Helden am Suribachi neue Kriegsanleihen in Milliardenhöhe aus der Tasche locken – andernfalls, so das Schatzamt „ist Ende des Monats kein Geld mehr für diesen Krieg da!

Doch ihre Erinnerungen haben wenig mit Heldentum zu tun und zeigen eine gänzlich andere Wahrheit …

Was zu sagen wäre

Der Krieg ist ein schmutziges Geschäft, das keiner besuchen will. Da sind selbst die allmächtigen Planer an ihren Schreibtischen in den Regierungszentralen irgendwann machtlos: Wenn das Geld ausgeht, kann man keine Waffen und Flugzeuge mehr bauen, kein Benzin und keine Futterrationen mehr bezahlen. Also muss Werbung gemacht werden, um wieder Leute in das schmutzige Geschäft zu bekommen.

Clint Eastwood hat eine authentische Geschichte knochentrocken dramatisiert. Was Eastwood in Unforgiven mit dem Westerngenre gemacht hat, macht er in „Flags …“ mit dem Kriegs- / Anti-Kriegsfilmgenre: Die Soldaten sind keine Männer mit Heldentaten, es sind Männer, die versuchen, „nicht erschossen zu werden“, die im Chaos der Schlacht auch von den eigenen Leuten unter Feuer genommen werden. Sie werden im Granatenhagel zerfetzt, die am Ufer Sterbenden werden von den nachrückenden Landungspanzern der US-Marines in den Boden gewalzt– und dann stellen ein paar Männer eine Flagge auf, ein Fotograf drückt auf den Auslöser, die politischen Kriegsherren haben ihr Werbeinstrument. Und jeder (und jede) kocht sein Süppchen.

Produced by Steven Spielberg und Clint Eastwood“, heißt es im Abspann. So sieht der Film aus: perfekte Bilder, beklemmende Atmosphäre, dramatische Schicksale. Nach 45 Minuten ist der Film beinahe in seiner Beliebigkeit abgesoffen. Die Erzählung springt da zunächst zwischen drei Zeitebenen, die dem Zuschauer ohne nähere Begründung um die Ohren geworfen wird. Wir müssen schon selbst sehen, wie wir den alten Mann, der nach jemandem rufend auf der heimischen Treppe einen Herzinfarkt erleidet und dem im entsättigten Grüngrau eines Schlachtfeldes liegenden Soldaten, der auch jemanden ruft, und den drei Soldaten, die in einem Footballstadion auf einen Pappmachéeberg klettern und unter tosendem Applaus eine Fahne aufstellen, zusammensetzen. Nach dem Interemezzo reist der Film in die Vergangenheit: 100.000 US-Soldaten stürmen den Strand von Iwo Jima. Und die Bilder erinnern sehr an Steven Spielbergs Kriegsepos Saving Private Ryan (1998). Die Bilder vom Strand der Normandie und die Bilder hier gleichen sich, dass man an ein déja vu glaubt und verzweifelt das Neue daran sucht. Wollen uns die beiden großen – und geschäftstüchtigen – Filmemacher Eastwood und Spielberg allen Ernstes nochmal erzählen, wie schmutzig der Krieg ist, wie wenig er mit Heldentaten zu tun hat? Lange sieht der Film so aus, während er mit blutigem Eye Candy versucht, uns bei der Stange zu halten, bis er auf die Krieg-ist-nichts-für-Helden-Message kühl einen draufsetzt. Die Stunde des Clint Eastwood kommt ja jetzt erst.

In Unforgiven dekonstruierte Eastwood die Mythen des Wilden Westens anhand der Legenden, die wir vor allem aus Filmen, die US-Amerikaner auch aus Büchern, kennen, aber niemand mehr aus der eigenen Realität. In „Flags …“ dekonstruiert Eastwood den Mythos der Kriegshelden anhand der vielfach selbst erlebten, realen Politik, die zynisch über Berge toter Soldaten steigt, um Geld für die heimische Kriegsindustrie zu sammeln. Der Kriegsmaschinerie fehlen aktuell 1,7 Milliarden Dollar, andernfalls, sagt Bud Gerber vom Schatzamt „ist Ende des Monats kein Geld mehr für diesen Krieg da!“ Die Idee, dass man den Krieg da hinten in Japan und die Schlacht um diese karge Insel gar nicht braucht, wird nicht diskutiert. Statt dessen spreizen sich eitle Senatoren und klopfen den vermeintlichen Helden mit dem Champagnerglas in der Hand auf die Schulter und schalten sofort ins Grundsätzliche, wenn die Helden von der vorgeschriebenen Heldengeschichte abschweifen und um ihre gefallenen Söhne trauernden Müttern die Wahrheit über den Krieg im allgemeinen und die Flaggengeschichte im besonderen sagen wollen; dann wird den drei Heimkehrern ihr Platz im Gefüge deutlich gemacht. Die Beamten aus dem Ministerium, die noch kein Schlachtfeld aus der Nähe gesehen haben, drohen, deren bürgerliche Existenz zu vernichten oder sie gleich zurückzuschicken in den Kugelhagel von Japan.

Besonders deutlich bekommt das der Indian American Ira Hayes zu spüren, der einem Stamm angehört, der immer schon auf der Seite der weißen Siedler gekämpft hat. Das will aber keiner hören, er bleibt der Flaggentyp, mit dem man sich und den Nachwuchs gerne für den heimischen Kaminsims fotografieren lässt, mit dessen Wurzeln man aber nichts zu tun haben will. Er gerät zwischen alle Stühle und endet bei harter Feldarbeit und schließlich in einem rätselhaften Tod. Rene, der schöne Soldat, der immer auf seine Frisur geachtet hat und der mit dem Flaggen aufstellen auf Iwo Jima gar nichts zu tun hatte, fällt am tiefsten. Rene gehörte zum Ersatzteam. Die Männer, die die erste Flagge aufgerischtet haben, sind fast alle tot. Und die Flagge stand auch nicht lange auf dem Berg; ein beobachtender Politiker hatte sich die Original-Flagge als Souvenir gesichert, also musste eine neue aufgestellt werden und Rene Gagnon, der nur Kurier an Bord eines Schiffes war, wurde mit ein paar Männern hochgeschickt, eine zweite Flagge als die Motivation stärkendes Symbol aufzurichten. Von dieser Aktion machte Joe Rosenthal sein Foto, das um die Welt ging. In den Vereinigten Staaten bewirkt dieses Foto, das in den meisten Zeitungen abgedruckt wird, ein Umdenken der Amerikaner, denn bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Fotos waren sie des Krieges müde und der Regierung gingen die Gelder aus. So sollen die „Helden“ von Iwo Jima in die Vereinigten Staaten gebracht werden, um dort auf große Werbetour für den Krieg bzw. zum Erwerb von Kriegsanleihen bei der Bevölkerung zu werben.

Besonders gefeiert wird ausgerechnet Rene Gagnon, nicht nur, weil der so besonders fotogen wäre. Ihm hat sich gleich am Bahnhof auch seine berechnende Jugendfreundin an den Hals geworfen, schon gelten die beiden als Paar, bald als verlobt – aus diesen beiden können Medienprofis echte Heldengeschichte machen, solche mit Happy End, für die Menschen gerne Kriegsanleihen kaufen: erst Tod und Verzweiflung, dann todesmutiges Flagge zeigen, dann Heimkehr, Liebe, Heirat, Kinder. Das will sich auch die Geschäftswelt nicht entgehen lassen. Haufenweise stecken sie ihm Businesscards in die Hand, er solle nach dem Krieg bei diesen oder jenen anfangen, beste Karriereaussichten werden ihm versprochen. kaum ist der Krieg vorbei, erinnert sich niemand mehr, jeder lässt sich verleugnen, Rene endet nach ein paar Gelegenheitsjobs als Hausmeister.

Das Foto brachte nur jenen Glück, die nicht drauf waren: Der Fotograf bekam den Pulitzerpreis, die anderen die benötigten Milliarden durch die Kriegsaneihen. Mütter hängten sich das Bild übers Bett, weil sie ihren Sohn darauf zu erkennen glauben (und dabei zwar richtg liegen, von der mächtigen Pentagon-Maschinerie diesbezüglich aber mit Lügen abgespeist und nach Hause geschickt werden). Das Foto, auf dem Soldaten im Kriegsrauch unter Mühen das Star Spangled Banner, das Symbol von american dream und american values aufrichten, ist so universell einsetzbar, weil seine größte Schwäche sich als seine größte Stärke erweist: Man kann keine Gesichter erkennen, kann seine Geschichte also manipulieren. Clint Eastwoods Anti-Kriegsfilm ist kein Film über behauptetes Heldentum. Eastwoods Film ist einer über Manipulation der Massen, in dem Interessensgruppen, um ihrer eigenen Vorteile willen, eine Maschinerie am Laufen halten müssen und dafür lügen, betrügen und über Leichen gehen. Es ist erst vier Jahre her, dass US-Außenminister Colin Powell die US-Soldaten mit einer weltweit übertragenen Lüge in den Krieg in den Irak schickte – so wie Powell wider besseres Wissen vor dem Plenum der Vereinten Nationen (UNO) über irakische Massenvernichtungswaffen log, so verdrehen die Militärs in Eastwoods Film die Wahrheit.

Eastwoods Qualität zeigt sich darin, dass er die drei Zeitebenen in der Waage und die Balance zwischen dem großen historischen Panorama und den einzelnen Schicksalen hält. Eastwood selbst sagte über seinen Film: „‚Flags‘ entlarvt das gemachte Heldentum – wie man Leute zu Helden erklärt, die selbst finden, dass sie sich nur verteidigt haben.

Wertung: 5 von 7 €uro
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