Buchcover: Tom Clancy – Dead or Alive
Tom Clancy tobt seine
konservative Weltsicht aus
Titel Dead or Alive
(Dead or Alive)
Autor Tom Clancy, USA 2010
aus dem Amerikanischen von Michael Bayer, Karlheinz Dürr und Dagmar Mallett
Verlag Heyne
Ausgabe Gebunden, 1040 Seiten
Genre Thriller, Krieg
Website tomclancy.com
Inhalt

Der Krieg gegen den Terrorismus ist weit von einem Sieg entfernt, doch scheint dieser Kampf für US-Präsident Kealty, den Nachfolger von Jack Ryan im Oval Office, keine Priorität zu besitzen.

Der „Emir“, ein weltweit vernetzter Terrorist, der hinter den schändlichsten Terroranschlägen auf die westliche Welt steckt, konnte trotz vereinten internationalen Bemühungen bislang nicht dingfest gemacht werden. Und er plant weitere perfide Anschläge, die Amerika destabilisieren und das Grauen vom 11. September noch übertreffen sollen.

Jetzt ist ihm der „Campus“ , eine geheime Antiterroreinheit, auf der Spur. Im Verein mit den Neuzugängen John Clark und Ding Chavez erhält Jack Ryan jr. den Auftrag, den Emir herbeizuschaffen – tot oder lebendig …

(aus dem Klappentext)

Was zu sagen wäre
Dead or Alive

Tom Clancy greift in die Vollen. Sein Personal ist mittlerweile so umfangreich, dass er seine komplexe Terrorgeschichte an mehreren Orten gleichzeitig entwickeln kann. Er nimmt sich sogar eine Seite Zeit, um rasch eine Familie in einer Midwest-Kleinstadt einzuführen – „Es ist noch nicht mal Viertel vor. Wir sind ja in fünf Minuten da. Okay, Kinder, auf geht’s …“ Dann fiel die Tür hinter ihnen zu. Kurz darauf explodiert eine Bombe und wir, die Leser, haben dank Clancys Kunstgriff nicht nur die übliche, minutiöse Beschreibung der Bombe, sondern auch ein Gesicht für das Opfer – Vater, Mutter, drei Kinder.

Clancy schnappt Osama Bin-Laden

Jack Ryan Sr., der ehemalige Präsident spielt nur noch eine Nebenrolle, in den Fokus gerückt ist sein Sohn Jack Jr., der in der vom Vater erdachten Ultrageheim-Organisation Campus arbeitet. Die Agenten John Clark und Ding Chavez haben die Hauptrollen übernommen. Dazu kommen Fachleute für jedes erdenkliche Gebiet und eine Art zwillingsbruder von Osama Bin-Laden, der, als dieses Buch entstand, noch unter den Lebenden weilte – wie man annehmen muss sehr zum Verdruss des Autors Tom Clancy, der hier schon mal die gerechte Strafe für den ehemaligen Staatsfeind No. 1 vorformuliert.

Clancy macht aus seiner konservativen (republikanischen) Weltsicht keinen Hehl, predigt den schlanken wie starken Staat, in dem aber jeder tun und lassen darf, was er möchte, solange er anderen nicht an die Gurgel geht. Mehrfach betont er, dass der US-Marine im allgemeinen zwar das Toten auf sehr viele Arten gelernt hat, dies aber eigentlich ungerne anwendet – ohne zu zögern dann aber doch und sofort, wenn aus Religion „Fundamentalismus entsteht. Dann kann ihr Glaubenseifer nämlich auch dazu führen, dass Selbstmordanschläge begangen und Flugzeuge in Wolkenkratzer gesteuert werden“, sagt FBI-Mann Brian Caruso an einer Stelle, woraufhin sich eine Diskussion darüber entspinnt, „ob wir dabei nicht über die Theorie vom faulen Apfel diskutieren. … Mir machen die guten Äpfel keine Sorgen. Wen und wie du anbetest, ist deine Sache – jedenfalls solange du nicht glaubst, dass Gott dir den Befehl erteilt, unschuldige Menschen in die Luft zu jagen“. Das ist der Katechismus der US-Republikaner in Reinkultur. Die Demokraten kommen bei Clancy traditionell schlecht weg – der amtierende US-Präsident Kealty wird als so unfähig beschrieben, dass noch der liberalste Leser sich Jack Ryan Sr. zurück ins Oval Office wünscht (der ja auch prompt wieder kandidiert).

Demokraten sind Schlipsträger und Weicheier

Ein Schelm, wer da Parallelen zu George Bush Jr. und dessen demokratischen Nachfolger Barack Obama zieht. Clancy sieht seine geliebten Freien Staaten von Amerika im Würgegriff von Liberalen, Linken „gesichtslosen Gnomen“ der Europäischen Union sowie der mit ihnen verbündeten Medien; im Weißen Haus sitzt ein Feigling, im Pentagon Schlipsträger ohne militärische Praxis. Die meisten von ihnen waren nicht alt genug, um schon in Vietnam gedient zu haben. Sie hatten nicht zuschauen müssen, wie Freunde oder Klassenkameraden durch politische Fehlentscheidungen ums Leben kamen. Diese Lehren waren den Offizieren der älteren Generation noch erteilt worden, aber dann im Verlauf dessen, was man „Fortschritt“ nannte, verloren gegangen. Dass Kealty zwei vollständige Divisionen der Leichten Infanterie einfach aufgelöst hatte und kurz darauf in einen Konflikt geschlittert war, der geradezu nach leichten Infanterieformationen schrie, war auch so etwas, das die Medien großmütig übersehen oder fast völlig ignoriert hatten. Außerdem machten Panzer eben auf Fotos sehr viel mehr her.

„Dead or Alive“ liest sich flüssig, die oft eingestreuten technischen Angaben über Hohlspitzmantelgschosse, Panzerhaubitzen, Sprengstoffzusammensetzung und so weiter stören den Lesefluss nicht. Clancy wechselt zwischen seinen Protagonisten und Antagonisten hin und her, zwischen Sibirien, Afghanistan, Kalifornien, Washington, Paris, Bagdad und dem mittleren Westen der USA treffen dauernd wir auf kühle Profis, die ihrer Sache, ihrem Führer, ihrer Religion mit grandioser Geheimhaltung und ohne jedes Zögern ergeben sind. „Driscoll dachte kurz daran, dass das, was er gerade tat, im Zivilleben eindeutig Mord gewesen wäre, aber das war nicht sein Problem. Diese Männer hier hatten sich Leuten angeschlossen, die seinem Land den Krieg erklärt hatten, und es war ihr verdammtes Pech, wenn sie ihr Quartier nicht ordentlich bewachten.“ Da müssen die guten Jungs – also die vom Campus, die außerhalb der offiziellen Geheimdiensthierarchien arbeiten – auch mal zum Waterboarding greifen; was Jack Bauer in der TV-Serie „24“ darf, dürfen Clancys Helden allemal.

Folter ist grundsätzlich gut

Folter und Shoot-to-kill auch in zweifelhaften Situationen ist – bei Clancy – immer gerechtfertigt; der gemeine Turbanträger ist für die zivilisierte Gesellschaft ohnehin kein Gewinn, wie John Clark seinem Schwiegersohn am Beispiel der Einwohner Afghanistans klar macht: Zwei Wochen nachdem die Rote Armee abgezogen war, haben sie wieder angefangen, sich gegenseitig abzumurksen. Sie wissen überhaupt nicht, was Frieden ist. Sie wissen nicht, was Wohlstand ist. Wenn man ihren Kindern Schulen baut, jagen sie die in die Luft. Ich habe versucht, Afghanen auszubilden. Sie haben viele wirklich liebenswerte Züge, aber dreh ihnen bloß nicht den Rücken zu. Das sind Steinzeitmenschen mit modernen Waffen. Sie scheinen ein genetisches Wissen über alles zu haben, womit man einen Menschen töten kann. Für Clancy wäre es wahrscheinlich das Sinnvollste, man zerlegt das ganze Land atomar. Bedauerlicherweise darf man das nicht einfach so.

Lässt man dieses ganze Wenn-doch-mal-endlich-die-Richtigen-auf-mich-hören-würden-Gerede beiseite lässt, dass die Grautöne zwischen Schwarz und Weiß konsequent ausblendet, dann ist „Dead or Alive“ ein spannendes Buch, das nah an der Realität entlang erzählt. Der Feind sitzt nicht in Moskau, dafür manchmal in Peking, immer aber in den islamischen Staaten, die aber dem Zerfall anheim gegeben sind, denn die höchsten Vertreter huren und saufen und glauben nicht länger an die Jungfrauen im Paradies.

Ein Autor verschärft sich

Ich hatte sehr lange keinen Tom-Clancy-Jack-Ryan-Roman mehr gelesen. Der letzte war Im Zeichen des Drachen (2000), das muss so zehn Jahre her sein und ich glaube, ich habe dazwischen auch ein Buch – in dem Jack Ryan Jr. das Spielfeld betritt, übersprungen. Clancy hat sich entwickelt – er lässt seiner konservativen Weltsicht hemmungslos freien Lauf, kann aber auch komplexer und bündiger erzählen als früher. Insofern: Erwartung erfüllt, das Buch ist ganz okay.

Ich habe das Buch in der Zeit zwischen dem 8. März und dem 1. Oktober 2014 gelesen.