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Plakatmotiv: Casino (1995)

Ein großer Film über
eine marode Glitzerwelt

Titel Casino
(Casino)
Drehbuch Nicholas Pileggi & Martin Scorsese
nach dem Roman von Nicholas Pileggi
Regie Martin Scorsese, USA, Frankreich 1995
Darsteller

Robert De Niro, Sharon Stone, Joe Pesci, James Woods, Frank Vincent, Pasquale Cajano, Kevin Pollak, Don Rickles, Vinny Vella, Alan King, L.Q. Jones, Dick Smothers u.a.

Genre Drama
Filmlänge 178 Minuten
Deutschlandstart
14. März 1996
Inhalt

Sam 'Ace' Rothstein ist der König der Buchmacher. Seine Intelligenz, sein Perfektionismus und seine Beherrschtheit sind legendär. Dank dieser Tugenden wählt die Italomafia ihn aus, ihr Vorzeigecasino, das 'Tangiers' in Las Vegas, zu leiten - obwohl er kein Italiener ist. Zögernd nimmt Ace die neue Herausforderung an und wächst dabei schon bald über sich hinaus.

Mit seinem wachsamen Auge optimiert er die sprudelnden Geldströme: Sam entlarvt jeden noch so ausgebufften Falschspieler, feuert unfähige Mitarbeiter und schmiert einflussreiche Politiker. Die Mafiosi in Chicago kassieren in Ruhe ab und sind zufrieden.

Das perfekt organisierte Räderwerk gerät jedoch ins Stottern, als zwei Menschen Aces Wege kreuzen: Zunächst taucht sein Jugendfreund Nicky Santoro auf. Nicky ist ein Mann fürs Grobe, den die Bosse geschickt haben, um Sam den Rücken frei zu halten – und um ihn zu kontrollieren. Doch Nicky nutzt seine Freiheiten aus und wirtschaftet in die eigene Tasche.

Zur gleichen Zeit verliebt Ace sich in die Edelprostituierte Ginger McKenna, die sich auf eine unglückliche Zweckehe mit dem Casinochef einlässt, obwohl sie noch immer ihrem Zuhälter Lester Diamond hörig ist und ihm größere Geldsummen zukommen lässt. Rasend vor Eifersucht lässt Ace den Zuhälter verprügeln, worauf Ginger aus Rache mit Aces vermeintlich bestem Freund Nicky ins Bett geht.

Doch damit verletzt Nicky den Ehrenkodex der Mafia und zieht den Zorn der Bosse auf sich. Als Sam einen unfähigen Casinomitarbeiter feuert, der seinen Job nur als Schwager eines einflussreichen Politikers aus Las Vegas bekam, ist das der Anfang vom Ende …

Was zu sagen wäre

Das Beeindruckendste an diesem Film ist, dass wir die großen Männer im Hintergrund, die Strippenzieher, die Köpfe großer Familien immer nur im Hinterzimmer einer Autowerkstatt oder einer Pizzeria sehen. Sie machen Hunderttausende mit ihren Geschäften, aber Glamour und das strahlende Leben in Reichtum ist weit weg.

Der wird dafür in Las Vegas geboten, wo die Handlanger die großen Casinos organisieren, die Gewinne erhöhen, die Falschspieler entlarven und die richtigen Politiker bestechen. und zwischendrin unliebsam gewordene Mitarbeiter per Autobombe aus dem Leben befördern. Plakatmotiv: Casino (1995) Aber das ist alles nur visueller Tand, Glitzerstaub auf einer tragischen Liebesgeschichte, die im Herzen dieses neuen Films von Martin Scorsese steht (Zeit der Unschuld – 1993; Kap der Angst – 1991; GoodFellas – 1990; "Die letzte Versuchung Christi" – 1988; Die Farbe des Geldes – 1986; New York, New York – 1977; Taxi Driver – 1976; Hexenkessel – 1973). Profispieler und Casinoboss Rothstein hat sich in Ginger verliebt, ein Callgirl, eines, das professionell seine Kunden ausnimmt: „Clevere Callgirls konnten einen Spieler zwei oder drei Tage lang wach halten, bevor sie ihn pleite zurück zu seiner Frau und seinem leeren Konto schickten“, sagt Rothstein aus dem Off über sie. Damit ist die Fallhöhe in diesem dreistündigen Film gesetzt. Rothstein, der mächtige Casinoboss, der aber an den Fäden der Dons im Landesinneren hängt, liebt die Frau. Die Frau liebt Geld – und den Mann, der es ihr gibt, solange er es ihr gibt. In der Rolle der Ginger sehen wir Sharon Stone, die man bis dahin als ewige Basic-Instinct-Blondine zu kennen glaubte (Sliver – 1993; Basic Instinct – 1992; Total Recall – Die totale Erinnerung – 1990; Action Jackson – 1988; Quatermain II – Auf der Suche nach der geheimnisvollen Stadt – 1986; Quatermain – Auf der Suche nach dem Schatz der Könige – 1985). Sie liefert eine große Performance als Ginger, mal romantisch verspielt, mal das Geld-ausgeben zelebrierend, später zerstört von kaputten Träumen und Alkohol oder als hysterische Furie im Kampf mit ihrem mittlerweile Ex-Mann. Stone wurde mit dem Golden Globe ausgezeichnet und für einen Oscar nominiert – der ging in der Oscar-Nacht dann aber an Susan Sarandon für Dead Man Walking (1995).

Die Liebe-auf-den-ersten-Blick-Nummer zwischen Rothstein und Ginger ist schwer verständlich, weil der Casinoboss sein Leben und seinen Job so hundertprozentig unter Kontrolle hat, nicht den kleinsten Fehler seiner Angestellten toleriert und er außerdem von Anfang an weiß, was für eine Frau er heiraten will. Er weiß auch, dass seine Ginger immer noch an ihrem ehemaligen Zuhälter hängt, dem einzigen Mann in ihrem Leben, der ihr keinen Cent bieten kann, dem im Gegenteil sie regelmäßig große Summen beschafft, was die Ehe mit Rothstein strapaziert.

Sam 'Ace' Rothstein markiert die achte Zusammenarbeit Scorseses mit Robert de Niro (Mary Shelley's Frankenstein – 1994; Kap der Angst – 1991; Backdraft – Männer, die durchs Feuer gehen – 1991; Schuldig bei Verdacht – 1991; Zeit des Erwachens – 1990; GoodFellas – Drei Jahrzehnte in der Mafia – 1990; Midnight Run – 5 Tage bis Mitternacht – 1988; Plakatmotiv (US): Casino (1995) Die Unbestechlichen – 1987; Angel Heart – 1987; Mission – 1986; Brazil – 1985; Der Liebe verfallen – 1984; Es war einmal in Amerika – 1984; "King of Comedy" – 1982; "Wie ein wilder Stier" – 1980; Die durch die Hölle gehen – 1978; New York, New York – 1977; Der letzte Tycoon – 1976; 1900 – 1976; Taxi Driver – 1976; Der Pate II – 1974; Hexenkessel – 1973). De Niro spielt den Casinoboss als kompromisslosen Realisten, der tut, was getan werden muss, und nicht wissen will, was ihn nichts angeht. Ein ruhiger, kontrollierter Mann, der für bisweilen in dieser Welt notwendige, brachiale Gewalt seine Leute hat.

Es sind zwei Sandkastenfreundschaften, die das goldene Leben in Vegas zerstören. Ginger hängt an ihrem Ex, den sie schon ewig kennt. Und 'Ace' hat Nicky Santoro am Hals, den er tatsächlich seit den gemeinsamen Jugendtagen kennt, eigentlich beste Freunde, aber Nicky hat eine nur gering ausgeprägte Impulskontrolle, sticht schnell und brutal zu und schwingt sich auf zum Mafiapaten der Stadt. Das stört die geschäftliche Ruhe in der Stadt und ruft die Behörden und das FBI auf den Plan. Alte Freundschaften und romantische Gefühle, sagt uns Scorsese, taugen nicht für florierende Geschäfte. Aber um die geht es auch kaum.

Scorsese baut eine gigantische, üppig ausgestattete, verschwenderisch ausgeleuchtete, elegant gekleidete Welt auf, in der Mafia, geschmierte Politiker und kleine Ganoven die Kontrolle halten; jene Welt, die in der Wüste Nevadas herrschte, bevor sich Las Vegas neu erfand und heute ein Traumziel für die ganze Familie ist. Es ist die Welt, die am Ende jener Ära stand, die maßgeblich der New Yorker Gangster Bugsy Siegel mit aufbaute, den Barry Levinson vor vier Jahren in seinem Film Bugsy sehr frei porträtierte. Aber diese ganze Welt erzählt nur Episoden, bruchstückhaft über das, was in den Casinos geschieht, den Hotelzimmern. Sie soll das Augenfutter liefern, das Scorsese für seine Liebesgeschichte benötigt.

In der ersten Hälfte wird das Episodenhafte besonders deutlich, wenn abwechselnd Rothstein und Nicky aus dem Off in die Welt hinter der Glitzerfassade Las Vegas' einführen und erklären, was passiert, erklären auch, was Rothstein an Ginger fasziniert, was die Bilder alleine nicht bieten können. Als die Erzählung dann losgelassen wird – weil, irgendwann muss ja der Film auf ein Ende hin zusteuern – wird es etwas anstrengender. Nicht nur, weil jetzt der Abstieg beginnt, dem zuzuschauen mehr weh tut, als dem Aufstieg. Sondern auch, weil jetzt das "Normale" beginnt, the same old Story von Verlust und Versagen.

Scorsese entfernt sich dabei nur vordergründig aus seinem Kiez, dem Little Italy New Yorks, denn die Figuren sind dieselben geblieben – Mafia, Killer, Sadisten und alte Männer. Auch auf Explosionen brutaler Gewalt verzichtet Scorsese nicht; Plakatmotiv (US): Casino (1995) in "Casino" hauen sie einem Falschspieler die Hände mit einem Hammer zu Klump und spannen den Kopf eines zunehmend schriller schreienden Mannes in einen Schraubstock und drehen.

Am Ende steht, während der Schlusschor der Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach aus den Boxen erschallt ("Wir setzen uns mit Tränen nieder"), der melancholische Abgesang auf zwei große Lieben. Die Liebesgeschichte von Ginger und Ace geht dramatisch zu Ende. In Las Vegas wird Rothsteins Casino, das "Tangiers" – wie viele andere Kasinos – abgerissen. An deren Stelle entstehen neue Spielkasinos, die von großen Konzernen geleitet werden und deren Bau über Ramschanleihen finanziert wird. Die professionellen Spieler und Glücksritter verschwinden zugunsten von Senioren mit Rollatoren und Familien, die ihre Kinder in den Themenpark schicken und am Blackjack dann deren Ausbildung verspielen. Alles hat sich verändert in Las Vegas. Abgezockt werden aber immer noch nur die Gäste. Das Casino gewinnt immer.

Wertung: 9 von 11 D-Mark
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