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Plakatmotiv: Captain America – Civil War (2016)

Marvel auf dem Peak: Ein Spektakel
mit eingebautem Virus zu scheitern

Titel Captain America – Civil War
(Captain America: Civil War)
Drehbuch Christopher Markus & Stephen McFeely & Mark Millar
nach den Comics von Joe Simon & Jack Kirby
Regie Anthony Russo + Joe Russo, USA 2016
Darsteller

Chris Evans, Scarlett Johansson, Robert Downey Jr., Elizabeth Olsen, Paul Bettany, Jeremy Renner, Paul Rudd, William Hurt, Sebastian Stan, Marisa Tomei, Daniel Brühl, Martin Freeman, Don Cheadle, Anthony Mackie, Frank Grillo, Chadwick Boseman, Leslie Bibb, Tom Holland, Emily VanCamp u.a.

Genre Comic-Verfilmung
Filmlänge 147 Minuten
Deutschlandstart
28. April 2016
Website marvel.com/captain_america
Inhalt

In Lagos lauern Captain America und sein Team dem Schurken Crossbones auf und vereiteln einen Terroranschlag mit Chemiewaffen. Der entscheidende Schlag gegen die Terroristen führt zu Kollateralschäden – zahlreiche unschuldige Zivilisten sterben. Das war der eine Kollateralschaden zu viel. Die Weltöffentlichkeit wendet sich gegen die Superhelden. 117 Staaten schließen sich in der UNO zusammen und legen unter Federführung vom US-amerikanischen Außenminister General Thaddeus Ross die "Sokovia Accords" vor, nach denen Superhelden nicht länger als Privatorganisation agieren, sondern vor der UN Rechenschaft ablegen müssten.

Die Avengers sind gespalten: Ein Teil der Gruppe um Tony Stark stimmt dem Deal zu („Wenn wir jetzt nicht freiwillig mitmachen, werden sie uns später zwingen.“); der andere Teil mit Captain America lehnt diese Vereinbarung ab. Bei einer UN-Diskussion in Wien hierzu wird der wakandische König T'Chaka bei einem Terroranschlag getötet – und scheinbar ist Bucky Barnes, der Winter Soldier, der Verursacher. Captain America will mithilfe von Falcon seinen Freund Bucky retten. Der Sohn T'Chakas, der wakandische Prinz T'Challa, will Bucky in der Maske des Black Panther töten. Das Ende vom Lied: Alle drei werden wegen Selbstjustiz von der Polizei festgenommen.

Während seiner Gefangenschaft wird Bucky durch Helmut Zemo verhört, einem HYDRA-Agenten, der sich unter falscher Identität Zutritt zum Berliner Hauptquartier der CIA verschafft hat. Zemo aktiviert Buckys Gehirnwäsche mit einer Abfolge russischer Wörter und macht ihn zu einem Amokläufer. Captain America und Falcon können ihn stoppen.

Bucky sagt ihnen, dass Zemo von ihm einen Missionsbericht vom 16. Dezember 1991 und den genauen Ort des "Winter Soldier"-Projektes in Sibirien erfahren hat, und dass sie ihn dort stellen müssen. Während Captain America, Falcon, Scarlet Witch, Hawkeye und Ant-Man auf seiner Seite sind, werden sie auf dem Flughafen Leipzig/Halle von Iron Man, War Machine, Black Widow, Vision, Black Panther und Spider-Man zur Herausgabe des Flüchtigen aufgefordert.

Nach einem großen Kampf, der von beiden Seiten widerwillig geführt wird, können Captain America und Bucky fliehen, während der Rest gefangen genommen wird, und War Machine eine Querschnittslähmung erleidet. Stark findet heraus, dass der wahre Bösewicht Zemo ist, der sämtliche Anschläge plante und dafür sorgte, dass Bucky die Schuld bekam.

Als Iron Man folgt er ihnen als Freund nach Sibirien, insgeheim gefolgt von Black Panther. …

Was zu sagen wäre

Der Civil War beginnt da, wo Avengers: Age Of Ultron (2015) aufgehört hat. Es ist der 13. Film innerhalb des Marvel Cinematic Universe (MCU) und leitet dessen "Dritte Phase" ein. Neu zum Team stoßen der Schwarze Panther und Spider-Man.

Es ist ein Film mit Längen, ohne Langeweile zu erzeugen. Die Helden sind bekannt und geschätzt, die Beziehungen eingeübt, die Action angemessen over the Edge. Was dem Film fehlt, ist die ordnende Aufsicht. Die Regisseure Anthony Russo und Joe Russo haben begeistert erzählt, dass sie völlig freie Hand hatten und sich austoben durften. Zwar fangen sie alle Storybälle, die sie in die Luft werfen, wieder auf – erzähltechnisch ist das sauberes Handwerk. Es sind aber Bälle darunter, die man gar nicht hätte werfen müssen und auch nicht werfen sollen.

Die Geschichte ist bitteres Drama. Die latent seit dem ersten Avengers-Film brodelnden unterschiedlichen Haltungen von Lebemann Tony Stark und Ehrenmann Steve Rogers brechen wieder auf und brechen das Team. Streitfrage ist, wie autonom eine Mannschaft aus Menschen mit besonderen Fähigkeiten agieren darf, mit welcher Berechtigung sie bei der Terroristenjagd eigenmächtig Landesgrenzen überschreitet, um dann in fremden Ländern bei ihren Einsätzen auch Tote in Kauf zu nehmen. In der UNO haben sich mehr als hundert Staaten auf ein "Sokovia abkommen" geeinigt, dass die Avengers unter die Kuratel einer UN-Behörde zwingt: „Kompromisse. Rückversicherung. So funktioniert die Welt“, erklärt US-Außenminister Ross den Kostümierten; und während Tony Stark, der mit seiner Rolle als Iron man in einer mit Außerirdischen und unterwanderten Geheimdiensten verrückt gewordenen Welt schon seit langem hadert, dem Außenminister zustimmen würde, wird es Steve Rogers leicht schlecht bei dem Gedanken, künftig von einer Regierungsbehörde abhängig zu sein – „Regierungen und ihre Haltungen wechseln. Die Beziehungen von Ländern zueinander ändern sich.

Die Regiebrüder Russo nehmen dazu keine Haltung ein. sie überlassen den Zuschauern, zu entscheiden, was sie richtig finden und fachen damit auch gleich Marketingkampagne an. „Who's Side are You on?“, fragen die Filmplakate, aber viel Zeit lässt der Film einem im Kinosessel dann nicht, seine eigene Haltung zu untermauern. hat der ehemalige Waffenproduzent recht, der die vielen Toten und die unglaublich hohen wirtschaftlichen Schäden sieht? Oder der Supersoldat aus dem Zweiten Weltkrieg, der auf der Seite der Schwachen steht, egal, wo auf der Welt er mt welchen Mitteln für sie kämpft? Vision, der neue bei den Avengers, hat ausgerechnet, dass seit die Superhelden aufgetaucht sind, auch vermehrt Superschurken den Planeten bevölkern. Thor hatte schon in The Avengers mal eingeworfen, dass das Auftreten der irdischen Metawesen im interplanetarischen Gefüge als Signal verstanden werde, dass die Erde nun bereit sei, im Konzert der wirklich Großen mitzukämpfen.

Der Film stupst die Frage der Verantwortung für einen solchen Fall an, umgeht eine Antwort aber nach dem Merkelschen Prinzip der Alternativlosigkeit. In dem Moment, wo die Sokovia-Vereinbarung in Kraft ist, bricht der Ausnahmezustand schon wieder über die Welt und müssen alle Helden ran, ohne erst langwierig eine UNO konsultieren zu können. Die Superhelden streiten sich, wer sie sind, aber bevor sie einer Antwort nahe kommen, können sie aufhören zu diskutieren und tun wieder, was sie am besten können: kämpfen. Dabei hätten sie mal lieber mit Worten gestritten, so wie die UNO. Das Misstrauen zwischen Stark und Rogers muss tief sitzen. Rogers riecht den Verrat einer dritten Macht förmlich, einfach, weil er nicht glauben kann, dass sein alter Freund, Bucky Barnes, der berüchtigte Winter Soldier, die UNO mit einem Sprengsatz in die Luft jagt. Und stark glaubt Rogers nicht, weil Barnes Rogers' Freund aus Kindheitstagen ist. Und die anderen Avengers? Schließen sich dem ein oder dem anderen an und hinterfragen die Situation nicht weiter – was das eigenständige Denken jedes dieser mächtigen Kämpfer in bizarrem Licht erscheinen lässt.

Das Merkelsche Prinzip der Alternativlosigkeit

Die beiden Russos brauchen nicht lange, um den Konflikt ausbrechen zu lassen. Aber sie brauchen lange, um zu ihrer Geschichte zu kommen, weil sie noch so viele Fäden auslegen müssen, die zum Teil erst für weitere Filme aus dem Marvel Cinematic Universe wichtig werden, aber in diesem Film dann doch auch weder zu einem Ganzen geknüpft werden müssen. Um Tony Starks beinah regierungshörige Motivation zu verstehen, wird sein dysfunktionales Verhältnis zu seinen Eltern beleuchtet, das sich später in einem epochalen Wutausbruch entlädt. Für Steve Rogers muss die aus der Zeit gefallene Liebesgeschichte mit Peggy Carter in ein neues Kontinuum gebaut werden, um nochmal deutlich zu machen, auf welchen Idealen sein Weltbild aufbaut – und offenbar haben die Fanhorden die Marvel-studios aufgefordert, steve Rogers endlich küssen zu lassen. Ein Handlungsstrang, der in einem überladenen Film in einer Sackgasse endet. Das sind zwei Beispiele für mehrere Situationen, die ein Schlaglicht auf das Kino des frühen 21. Jahrhunderts werfen, das seit 2008 (seit Iron Man) von Marvel geprägt wird.

Autoren und Regisseure basteln bunte Häppchen aneinander, solange, bis die Geschichte ihres Films zu Ende erzählt ist. Das dauert dann halt zweieinhalb Stunden. Um den großen dramaturgischen Bogen ihres eigenen Films, um filmtechnische Verknappung müssen sie sich nicht kümmern. Ihre Häppchen innerhalb eines Filmes sind das, was die einzelnen Filme innerhalb der Reihe des MCU sind. Die einzelnen Produkte ("Filme") zerfasern, weil es ja eigentlich um einen, den ganz großen Erzählbogen geht. Für den zeichnet Kevin Feige verantwortlich – dessen Job man bei einer in ihrer Komplexität durchaus vergleichbaren TV-Serie als Showrunner bezeichnen würde. Feige hat die groben Storylines in der Hand, aber offenbar nicht die vielen Fäden, mit denen unterschiedliche Autoren und Regisseure ihre Avengers-Geschichten spinnen. Das ist bislang noch nicht so wirklich dramatisch, weil wir uns ja dauernd (Ausnahmen bestätigen die Regel) unterhalten fühlen. Aber was bleibt? Welcher Film bleibt aus den Zehner-Jahren des 21. Jahrhunderts als ewiger Klassiker übrig? Wie heißt der Weiße Hai, der Terminator, der Blade Runner, der Star Wars, der Die Hard dieser Dekade? Am Ende, 2019, ist das MCU 19 Filme stark und der einzige, an den man sich erinnern mag, ist der sehr komplexe Winter Soldier ..?

Spider-Man und Ant-Man tun dem Film sehr gut

Die Storyline rund um Helmut Zemo wäre in früheren, in Comic-Zeiten der Headliner gewesen: "Zemo greift an: Überleben die Avengers ihren härtesten Gegner?" Im Film läuft sie stiefmütterlich behandelt nebenher, erzählt mehr als tragisches Schicksal, denn als Bedrohung und wiederholt nur, was der film vorher schon erklärt hat: Der Kampf der Helden gegen das Böse in der Welt kostet unschuldige Opfer, fordert zigtausendfach individuellen Schmerz.

Der neue "Captain America" ist ein besserer Avengers-Film, als es Age of Ultron war. Die große Kampfszene am Flughafen Leipzig ist ein stimmig choreografiertes Ballett. Spider-Man stiehlt allen die Show. Und Ant-Man tut es ihm gleich. Spider-Mans Funktion in der Geschichte und die richtige Menge Humor macht den Film very fun to watch. Spider-Man wird von Tom Holland gespielt, der 2017 in einem Reboot (Spider-Man: Homecoming) als Peter Parker zu sehen sein wird. Chadwick Boseman übernimmt die Rolle des Königs von Wakanda, der als Black Panther zu den Avengers stößt und 2018 mit einem eigenen Film kommen soll. Er ist der größte Gewinn in diesem Film. Seine katzenartig sich bewegende Figur mit erfrischend eigenem Kampfstil ist vielschichtig – Held, Rächer und als Herrscher von Wakanda auch alleiniger Herrscher über den Bodenschatz Vibranium. Abgesehen von seinem albernen Akzent, den ihm die deutsche Synchro verpasst (ähnlich störend wie das russische Gekrächze bei Scarlet Witch), ist dieser Panther eine Type mit eleganten Bewegungen und ganz ausgezeichneten Kicks.

Der Übermensch und der Wutbürger

Und das Volk, das alle andauernd beschützen wollen? In den Filmen spielt das Volk die Rolle des unmündigen Bürgers, der sich auch in seiner Ausprägung als Es-reicht-jetzt-Wut-Bürger der alternativlosen Rettung durch die Übermenschen hingeben muss. So spannend der Topos ist, den Marvel hier aufstößt, so gefährlich ist er gleichzeitig, denn so einfach, wie es die Filmplakatfrage nach der Seite ist, auf der der Zuschauer steht, ist die Antwort auf all das nicht. Iron Man, der vor acht Jahren noch jubelte, er habe den Weltfrieden privatisiert, propagiert die altruistische Aufsichtsbehörde, demokratisch legitimiert. Im Kinosessel mag man sich kaum vorstellen, was beim Angriff der Chitauri in The Avengers mit New York passiert wäre, hätte erst ein UNO-Gremium beraten und beschließen müssen. Stark sagt dann auch folgerichtig, man solle bei dem Sokovia-Abkommen erst einmal klein beigeben, um nicht später gezwungen zu werden, und am Ende werde alles schon nicht so schlimm werden. Der blonde Sigfried, der hier Steve Rogers heißt, propagiert gegen die Behörde – was angesichts der gerade überwundenen S.H.I.E.L.D-Verwerfungen verständlich ist – hat aber darüberhinaus keinen weiteren Plan. Er will der (alleinige) Held sein, der den Durchblick hat, der am Ende alle rettet. US-Außenminister Ross, der das UNO-Dekret mit aller Arroganz der Macht umsetzt, hat schon mal ein Hochsicherheitsgefängnis unter dem sturmumtosten Meeresspiegel fertig, in dem unsere Superhelden interniert sind und das eher an Folterkeller diktatorischer Regimes erinnert als an ein Gefängnis in westlicher Staatengemeinschaft. Mit diesem faschistischen Monsterbau offenbart der Film dann doch seine Sympathie für die Anti-Behördenhaltung auf der Seite Steve Rogers', der auch gleich lächelnd tätig wird.

Mit "Civil War" offenbaren die Avengers ihre Sehnsucht, sich selbst abzuschaffen. Denn was folgt aus Vision Berechnung (s.o.) und Thors Erkenntnis, wonach die Erde mit den Avengers die universale Bühne galaktischer Kriege betreten habe? Würde der Marvel-Verlag diese Überlegungen konsequent zu Ende denken, müsste er, wollte er die Erde vor Aliens und Superschurken schützen, ja einfach nur damit aufhören, Marvel-Geschichten zu erzählen. Deshalb prügeln die Protagonisten wahrscheinlich so unermüdlich aufeinander ein. Es wird Zeit für neue Helden, die in die Bresche springen.

In einem halben Jahr ist der erste Filmauftritt des Marvel-Magiers Doctor Strange avisiert.

Wertung: 5 von 8 €uro
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